Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition)
endlich in Ruhe ließe.
»Waren Sie schon mal bei den Treffen?«
»Der Anonymen Alkoholiker? Ein oder zwei Mal. Ist nicht meine Welt.« Er dachte an die Jammergestalten, denen er dort begegnet war, und brannte darauf, dem alten Knaben zu erzählen, dass er Prominente wie Sam Sheridan zu seinen Freunden zählte.
»Ich gehe hin. Jeden Samstagmorgen, drüben in Jamestown. Warum schauen Sie nicht mal vorbei, wenn Sie entlassen werden? Ich halte Ihnen einen Platz frei.«
»Ich überleg’s mir.«
Joe machte Anstalten aufzustehen, dann setzte er sich wieder. »Sie sagten, das sei nicht Ihre Welt. Aber in unserer Welt kann jeder landen, und wir haben ein Sprichwort: ›Vom Palast in den Knast, von der Park Avenue auf die Parkbank.‹ Für Leute wie uns ist ein Drink zu viel und tausend zu wenig.«
Richard nickte.
»Wie ich bereits sagte, ich halte Ihnen einen Platz frei.«
Richard sah ihn durch die Gitterstäbe an.
»Sagen Sie, warum sind Sie eigentlich hergekommen?«, fragte er. »Woher wussten Sie von mir?«
»Ich kenne Neve und Mickey. Sie erinnern mich daran, wie viel Zeit ich vergeudet habe, als meine Frau und Tim noch bei mir waren.«
»Mickey sagte, dass sie die Schneeeule zu Ihnen gebracht hat.« Richards Stimme klang bitter. »Haben Sie es sich zur Gewohnheit gemacht, sich um alles zu kümmern, was nicht lebenstauglich ist?«
»Ich betrachte es als eine Ehre und ein Privileg, mich um die Eule kümmern zu dürfen. Und was Sie betrifft, um Sie kann sich nur einer kümmern, und das sind Sie selbst, Richard. Nur Sie können die nötigen Schritte einleiten, um gesund zu werden. Dabei wünsche ich Ihnen Glück. Mehr als Sie wissen.«
Joe streckte den Arm durch das Gitter und klopfte ihm auf die Schulter. Er reichte ihm nicht die Hand, als hätte er mitbekommen, wie stark Richard zitterte. Er dachte an seinen Vater. Sein Dad hatte ihm oft auf die Schulter geklopft, vor langer Zeit. Immer dann, wenn er gute Arbeit geleistet hatte.
Das würde er nicht mehr tun, wenn er sehen könnte, was aus seinem Sohn geworden war. Richard senkte den Kopf, hoffte, dass es bald ein Ende mit ihm haben würde. Aber er liebte Mickey, und ein weiteres Kind war unterwegs.
Sie sind der Einzige, der die nötigen Schritte einleiten kann, um gesund zu werden, hatte Joe gesagt.
Richard spürte, wie er am ganzen Körper zu zittern begann – kein Tremor wie vorhin, sondern etwas anderes –, er saß in der Ecke seiner Gefängniszelle, schluchzte und ließ seinen Tränen freien Lauf.
26
A n diesem Abend hatte Mickey das Gefühl, dass sich die Welt abermals veränderte. Es hatte vor zwei Stunden begonnen, als sie am Schreibtisch ihrer Mutter in der Galerie gesessen hatte, während die Besucher die Exponate betrachteten und Champagner tranken. Viele waren von weither gekommen, um einen Blick auf Berkeleys Bilder zu werfen, und sie hatte beobachtet, welche Empfindungen sich in den Gesichtern widerspiegelten, wie bewegt die Menschen von der Aussagekraft der Bilder, den zarten Pinselstrichen waren.
Das Licht verbreitete einen warmen Schimmer; die Gespräche waren lebhaft und interessant. Die ehemaligen Kameraden von Damien O’Casey waren überglücklich, gemeinsam das große Talent ihres Freundes feiern zu können. Als Mickey sah, wie sie sich langsam durch die Galerie bewegten, zwei von ihnen mit Hilfe eines Krückstocks, stimmte es sie traurig, dass er selbst nicht mehr unter ihnen weilte. Damien konnte sie nicht sehen – die zahlreichen Menschen, die ihn liebten.
Aber sie liebten ihn trotzdem! Egal, ob er anwesend war oder nicht, ob er sich auf der Erde oder im Himmel befand. Sie hatte von ihrer Mutter erfahren, dass er nach seiner Rückkehr aus dem Krieg Probleme gehabt hatte. Schlimme Probleme, die ihn bewogen, mit dem Malen aufzuhören – doch auch das spielte keine Rolle. Die Menschen liebten ihn, so oder so.
Ungefähr zwei Minuten nach dieser Offenbarung war Shane zur Tür hereingekommen, in Begleitung von Mr. O’Casey; beide trugen Anzug und Krawatte, ein Anblick, der sogar ihr ein Lächeln entlockte. Shane mit Krawatte? Sie hätte es nie für möglich gehalten, dass sie diesen Tag jemals erleben würde. Als er sie entdeckte, kam er schnurstracks auf sie zu. Seine langen Haare waren feucht, als hätte er gerade erst geduscht. Seine Augen waren ernst, und er sah aus, als duckte er sich, als würde er sich schämen oder fürchten.
»Hallo.«
»Hallo«, sagte Mickey. Sie blickte ihn an. Wäre er zwei Minuten früher
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