Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition)
ich weiß, wie schwer das ist«, erwiderte Joe ruhig.
»Es ist nicht schwer. Mickey zu lieben ist ein Kinderspiel.«
»Warum fragen Sie mich nicht, weshalb ich auf dem Fußboden sitze?«, sagte Joe.
Was sollte das, warum brachte der Mann ihn ständig aus dem Konzept? Das war ja der reinste Alptraum – kaum dachte er, er hätte die Sache im Griff, hätte den Kerl in der Tasche, wechselte der den Kurs.
»Wollen Sie mich provozieren?«
»Fragen Sie mich, warum ich auf dem Fußboden sitze«, sagte Joe abermals.
»Also gut. Warum?«
»Weil ich weiß, was Sie durchmachen. Ich weiß, dass die Beine Ihnen den Dienst versagen – als wären sie aus Gummi. Ihnen ist speiübel, als müssten Sie sich übergeben, obwohl der Magen leer ist. Sie haben das Gefühl, als würde Ihr Kopf in einem Schraubstock stecken und jeden Augenblick explodieren. Sie können nicht aufstehen, Richard – deshalb habe ich mich hingesetzt.«
»Woher wollen Sie wissen, dass ich nicht aufstehen kann?«
Joe neigte den Kopf zur Seite und sah ihn lange an, mit einem väterlichen Blick, der ihm fast die Tränen in die Augen trieb. »Weil ich weiß, wovon ich rede; ich bin Alkoholiker, genau wie Sie.«
»Sie doch nicht!«
»Ich war alkoholkrank. Mein Bruder auch. Wir beide. Der Krieg hatte uns verändert. Wir waren innerlich abgestumpft, also tranken wir, um wieder etwas zu fühlen – und zum Schluss tranken wir, um nichts mehr zu fühlen. Kommt Ihnen das bekannt vor, mein Sohn?«
»Ich war nie im Krieg.«
»Die Gründe spielen keine Rolle.« Joe sah Richard durch die Gitterstäbe an.
Richard zuckte die Achseln; das sah er anders. Kriegshelden, die zu viel tranken, waren eine Sache. Ein Mann, der über jeden nur denkbaren Komfort im Leben verfügte, war etwas anderes.
»Alkoholismus ist eine Krankheit«, sagte Joe.
»Eine Charakterschwäche.«
Joe schüttelte langsam den Kopf. »Niemand kann sagen, wer dieser Sucht zum Opfer fällt oder warum. Es gibt zahlreiche Witze, die uns Iren unterstellen, wir wären dafür prädisponiert. Davon ist mir nichts bekannt. Ich weiß nur, dass ich daran erkrankt bin, und Sie offensichtlich auch.«
»Wenigstens haben Sie eine Entschuldigung.«
Joe lachte. »Jetzt machen Sie aber einen Punkt. Sie haben doch auch tausend Entschuldigungen, oder? Der Immobilienmarkt ist im Keller; der Immobilienmarkt spielt verrückt; meine Frau versteht mich nicht; der Hund meines besten Freundes hat das Zeitliche gesegnet. Richard, man findet immer einen Grund, um zu trinken.«
»Ja, aber die Kinder. Sie sind der Grund, warum ich aufhören werde.«
»Wie oft haben Sie sich das schon vorgenommen?«
»Keine Ahnung.« Richard zuckte die Schultern.
»Hundertmal? Fünfhundertmal? Tausendmal? Sie kennen doch den Dialog, der im Kopf stattfindet: Heute werde ich keinen Tropfen trinken … oder nur ein Glas … Ich bleibe beim Bier … und zur Fastenzeit höre ich auch damit auf … Ich genehmige mir nur am Wochenende einen Drink … das ist der letzte. Diese Vorsätze habe ich mindestens hundertmal am Tag gefasst, bis Tim sechzehn Jahre alt wurde. In dem Jahr habe ich die Finger vom Alkohol gelassen. Und wissen Sie warum?«
Richard schüttelte den Kopf.
»Ich habe es nicht für Tim getan.«
Richard spähte durch die Gitterstäbe und fragte sich, was für eine Art von Vater dieser Armleuchter war.
»Er war ein wichtiger Grund, trocken zu bleiben, sobald ich es geschafft hatte. Aber ich musste es für mich selbst tun, musste es mir wert sein. Das ist der einzige Weg, vom Alkohol loszukommen.«
Richard senkte die Augen und schüttelte den Kopf. Hatte der alte Mann keine Augen im Kopf? Er war ein Stück Dreck in diesem Gefängnis. Er hatte seine Frau und seine Tochter verloren – und nun sah es ganz so aus, als würde auch der zweite Versuch, eine Familie zu haben, scheitern. Wie kam der Mann auf die Idee, er sei auch nur einen Pfifferling wert?
»Nur Sie können entscheiden, wann es Ihnen endgültig reicht«, sagte Joe.
»Es reicht mir schon lange. Aber ich schaffe es einfach nicht, aufzuhören. Keine Ahnung, warum. Es ging mir nie richtig schlecht im Leben. Es hat mir nie an Zuwendung gemangelt, ich hatte immer ein Dach über dem Kopf und genug …«
»Sie können nicht aufhören, weil Sie Alkoholiker sind«, sagte Joe.
»Ja, so wird es wohl sein.« Es war keine Erleichterung, dass ihn jemand unverblümt mit der Wahrheit konfrontierte. Er wünschte, er müsste nichts mehr hören und sehen, dass Joe ihn
Weitere Kostenlose Bücher