Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition)
Naturschutzgebiet und Tim der Ranger.
Joe wusste, was sein Sohn von U-823 hielt. Wahrscheinlich war er froh, dass es endlich verschwand – dieses Wrack, dem Tim beinahe an allem die Schuld gab, was in seinem Leben jemals schiefgelaufen war. Dort oben, über den kleinen Käfigen und einem Haufen verstreuter Vogelbandagen, hing das Bild seines Enkels, Frank. Tims einziges Kind. Er trug die Uniform der Marines, ein Schnappschuss, der außerhalb von Bagdad aufgenommen worden war. Dass Frank überhaupt in Bagdad gelandet war, lastete Tim vermutlich auch U-823 an.
Und vielleicht hatte er damit nicht ganz unrecht …
Doch das war keine Entschuldigung dafür, dass Cole Landry die Totenruhe störte, die Leichen an einen gepflegten kleinen Ankerplatz in Cape Cod verlegte, flankiert von einer Muschel-Imbissbude und einer Anzahl Motels für Touristen.
Joe stand reglos da und ließ seinen Blick durch die Scheune schweifen. Augen starrten ihn aus allen Volieren an, und er sah seinen eigenen Atem, der in der kalten Luft hing. Hier, unter seinen Vögeln, fühlte er sich Damien näher als anderswo. Damien war Flieger geworden und Joe Seemann – aber in gewisser Hinsicht waren beide ausgebrannt.
Während Joe sich Schritt für Schritt durch die große Scheune bewegte, verrichtete er seine Arbeit. Es gab nicht genug ausgebildete Leute, die sich darauf verstanden, verletzte Vögel durchzubringen; Joe hatte sich im Lauf der Jahre einen Namen gemacht, und die Leute brachten alle möglichen Tiere zu ihm, die sie fanden. Er hatte einen Kardinal in seiner Obhut, der gegen eine Glasscheibe geprallt war – der Hausbesitzer hatte wegen der erstklassigen Sicht ein Vogelhaus mit Sonnenblumenkernen direkt neben dem riesigen Panoramafenster aufgehängt –, weiterhin eine Seemöwe, die einen Angelhaken verschluckt hatte, und ein Rotkehlchen, das sich letzten Sommer den Flügel gebrochen hatte und sich nun weigerte, Joes Scheune zu verlassen, lange nachdem die Verletzung ausgeheilt war.
Doch meistens hatte er es mit Raubvögeln zu tun. Darauf war er spezialisiert – vermutlich, weil sie Damiens Lieblingsvögel gewesen waren. Als Jungen hatten sie es sich zum Ziel gesetzt, jeden Adlerhorst in Rhode Island und jedes Fischadlernest an der Atlantikküste ausfindig zu machen.
Und nun betreute Joe einen Rotschwanzbussard, der Rattengift gefressen hatte, eine große Ohreule, auf die mit Pfeil und Bogen geschossen worden war, einen Turmfalken, der in die Windschutzscheibe eines vorbeifahrenden Schwerlasters auf der I-95 geflogen war, eine junge Waldohreule, einen Rundschwanzsperber, der bei einem Kräftemessen mit einem Schwarzbären einen Großteil seiner Schwanzfedern eingebüßt hatte, einen Truthahngeier, der sich in einem Elektrozaun verfangen hatte, und eine grau marmorierte Schleiereule mit zwei gebrochenen Flügeln.
Als er ein Auto im Hof vorfahren hörte, ging er zum Scheunentor. Es war ein Kombi, in dem sich drei Personen und ein Käfig befanden. Ein weiterer verwundeter Vogel. Joe holte tief Luft. Er verstand sich nicht besonders gut darauf, Leute wegzuschicken, aber wenn er nicht irgendwo eine Grenze zog, würde die Betreuung der verletzten Vögel, die er bereits in seiner Scheune einquartiert hatte, darunter leiden.
Deshalb eilte er in den Hof hinaus und fuchtelte mit den Armen, wollte die Ankömmlinge verscheuchen.
»Am besten drehen Sie gleich wieder um.«
Die Fenster des Wagens waren geschlossen – und die Heizung war vermutlich voll aufgedreht, damit sie es warm hatten – was dem Vogel auf dem Rücksitz alles andere als guttat. Typisch. Die Leute wollten helfen, hatten aber keine Ahnung.
»Sie können gleich wieder umdrehen«, rief er lauter. »Kein Platz in der Herberge.«
Es waren zwei Frauen – eine Frau und ein Mädchen, genauer gesagt. Sie sahen überrascht aus angesichts des unfreundlichen Empfangs, vielleicht sogar eine Spur gekränkt, verletzt. Nehmt es nicht persönlich, hätte er gerne gesagt. Doch auf dem Rücksitz saß ein junger Mann – der offensichtlich fuchsteufelswild war. Joe sah es seinem Gesicht an, noch bevor die hintere Tür aufgerissen wurde.
»Was soll das heißen: ›Sie können gleich wieder umdrehen?‹« Der Junge sprang aus dem Auto.
»Genau das, was ich sagte. Es ist kein Platz in der Herberge.«
»Das ist kein Scherz.«
»Sollte es auch nicht sein.«
Der Junge war schätzungsweise siebzehn oder achtzehn. Groß, schlaksig und auf eine Art respektlos. Lange braune Haare, eine
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