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Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition)

Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition)

Titel: Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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müssen – dem ersten lebenden, atmenden Wesen seit geraumer Zeit. Doch der wahre Grund dafür, dass er kein Auge zugetan hatte, war Neve.
    Während er alleine an der Gezeitenlinie entlangging, atmete er in tiefen Zügen die salzige Luft ein. Manchmal weckte der Sandsturm in ihm das Bedürfnis, sich darin zu verlieren – er stellte sich vor, wie der Sand vom anderen Ende der Welt zu ihm herüberwehte. Er dachte an den heißen Wüstenwind,
die erbarmungslose Sonne. Tim hatte den Reißverschluss seiner Jacke offen gelassen, so dass er hautnah mit der Kälte Neuenglands in Berührung kam und spürte, dass er noch lebte.
    Er musterte den Strandabschnitt, der vor ihm lag, und sah, dass die Filmcrew ihn in einem annehmbaren Zustand hinterlassen hatte. Ihren Abfall hatten sie mitgenommen. Überall waren Fußabdrücke im Sand und Spuren, wo die Scheinwerfer und Kameras gestanden hatten. Er kletterte über den Pier und drehte sich um, betrachtete das Meer, die endlose Weite des schiefergrauen Ozeans, die meterhohe Brandung über dem untergegangenen U-Boot.
    Mickey hatte geglaubt, die ertrunkenen deutschen Besatzungsmitglieder gesehen zu haben. Er fragte sich, ob das möglich war. Ein seltsamer Gedanke, dass Männer, die im Kampf fielen, ihre letzte Ruhestätte auf dem Schlachtfeld fanden, bei ihren gefallenen Kameraden – nicht unbedingt ihre sterblichen Überreste, sondern vielmehr ihr Geist, ihre Seele. Frank war in Beths Familiengruft in Cranston beigesetzt worden. Weilte sein Geist noch in der Nähe von Bagdad, gemeinsam mit den Geistern der anderen Angehörigen seiner Einheit, in den Überresten des Panzers, auf dem Grund des Euphrat? Tims Herz war schwer bei dem Gedanken. Er wünschte sich, dass sein Sohn in die Heimat zurückgekehrt wäre, mit allem, was ihn ausmachte.
    Er ging weiter, bis zu dem an Land gespülten Stück Treibholz, das die Schneeeule als Schlafplatz gewählt hatte. Als er sich darauf niederließ, erspähte er eine weiße Feder, die sich in den silbrigen Splittern verfangen hatte. Er zog sie heraus, glättete sie mit den Fingern. Er betrachtete sie, fragte sich, wie es der Eule gehen und was Neve von seinem Vater halten mochte, als er hinter sich Schritte im Sand vernahm.
    »Hallo«, sagte sie.
    »Hallo«, erwiderte er, ohne sich umzudrehen.
    »Ich war in der Rangerstation und habe nach Ihnen gesucht. Dann kam mir der Gedanke, dass ich Sie hier finden könn-te.«
    »Ich habe einen Kontrollgang am Strand gemacht.«
    »Und? Haben sie ihn verwüstet?«
    »Noch nicht.«
    Sie nickte und setzte sich neben ihn auf das Treibholz. Sie schwiegen lange, spürten den Wind in den Haaren, lauschten dem Tosen der Wellen. Dann hielt er ihr die Feder hin. Sie wollte danach greifen, aber er ließ nicht los. Sie hielten beide die Feder, sahen sich an – und plötzlich wusste Tim, dass sie es erfahren hatte. Er erkannte es an ihren Augen, die von Verzweiflung überschattet waren. Sie wusste, was mit Frank geschehen war.
    »Wie geht es der Eule?« Seine Stimme klang ungewollt barsch.
    »Bisher ganz gut. Die Auffangstation ist eine wunderbare Einrichtung, auf die Ihr Vater stolz sein kann.«
    »Stimmt.«
    »Tim …«
    »Nicht.« Er hob die Hand, um ihr Einhalt zu gebieten.
    Ihr Mund war geöffnet, doch die Worte kamen nicht über ihre Lippen. Er konnte sie fast hören. Die Beileidsbekundungen. Wie oft hatten die Leute ihr Mitgefühl zum Ausdruck gebracht? Er war ein guter Junge; er war ein hervorragender Sportler; er liebte das Meer, er war ein erstklassiger Taucher, er war naturverbunden, ganz der Vater; er starb für sein Vaterland; er war ein Held.
    Neve sah Tim an, mit feuchten Augen und fassungslosem Blick – ja, fassungslos. Er kannte diesen Ausdruck nur allzu gut. Er hatte ihn hundertmal in Beths Augen gesehen. Beth hatte das Bedürfnis gehabt, fortwährend über ihren Sohn zu sprechen, während Tim sich wünschte, sie würde endlich den Mund halten und ihn in Ruhe lassen. Als Frank starb, waren sie seit drei Jahren geschieden gewesen; sie hatte zwei Jahre vorher wieder geheiratet. Doch über Frank wollte sie nur mit Tim reden. Und er hatte ihr klipp und klar erklärt, dass er keine Lust dazu hatte – was gab es da noch zu reden? Frank war tot.
    Beths Augen pflegten sich daraufhin mit Tränen zu füllen und sie hatte ihn fassungslos angeschaut, genau wie Neve jetzt, in diesem Augenblick.
    »Die Schneeeule«, lenkte Tim rasch ab. »Erzählen Sie mir, was mein Vater gesagt hat. Wird sie überleben?«
    »Er

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