Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition)
hatte.«
»Dinge, die Sie gerne von Ihrem Vater selbst gehört hätten.«
Tim zuckte die Achseln, als sei ihm das egal.
»Was hat er Frank erzählt?«
»Oh, wie Damien und er sich am selben Tag freiwillig gemeldet hatten, gleich nach Pearl Harbor. Und von Damien, der in seiner silbernen B-24 Liberator bei Tageslicht Einsätze über Rostock und Karlsruhe flog, und wie er nach der Bombardierung Dresdens abgeschossen und von drei französischen Schwestern gerettet wurde, die ihn in einer Scheune versteckten.
Er selbst war zu dem Zeitpunkt an Bord der USS James; sie gehörte zu einer Flotte von Zerstörern, die Jagd auf das sogenannte ›Wolfsrudel‹ des deutschen Großadmirals Dönitz machte. Er erzählte Frank, wie U-823 den Dampfer Fenwick in der Mündung des Thames-Flusses versenkt hatte; und wie er, als es bei uns aufkreuzte, seinen Männern den Befehl erteilt hatte, es ins Visier zu nehmen und mit Torpedos zu beschießen und zu versenken – genau hier, an Franks Lieblingsstrand, am anderen Ende des Piers.« Er deutete auf die morsche, baufällige Struktur, die auf ihren rostigen Eisenpfeilern immer tiefer im Sand versank. »Mein Vater schilderte die Ereignisse höchst lebendig, wie einen Historienfilm in Technicolor, einen Kriegsfilm, angefüllt mit Tapferkeit und Patriotismus …«
»Ihr Vater hat mir erzählt, dass Sie in Vietnam waren.«
»Stimmt.«
»Ihr Vater …«
»Wie ich bereits sagte, mein Vater entwickelte im Laufe der Zeit eine andere Sichtweise. Während meiner Kindheit war es offensichtlich, dass er durch den Krieg traumatisiert war. Er hatte so viel Grauenvolles miterlebt, und sein Bruder war wie ein Zombie zurückgekehrt. Damien war ein hochbegabter, einfühlsamer Mensch – er konnte seine Kriegserlebnisse nicht verkraften. Mein Vater sprach nie darüber – stattdessen …« Tim verstummte, wollte offenbar keine schmutzige Wäsche waschen. »Wie auch immer, als Frank in dem Alter war, um Fragen zu stellen, hatte mein Vater alles verdrängt, was nicht in seine heile Welt passte. Die Narben, die er davongetragen hatte, waren verblasst, und so konnte er die schrecklichen Ereignisse zu einer Heldengeschichte ummünzen …«
»Sie machen Ihrem Vater zum Vorwurf, dass Frank sich freiwillig gemeldet hat?«
Tim wollte gerade nein sagen, aber er wusste, dass es eine Lüge war. Er machte jedem Vorwürfe: sich selbst, Beth, seinem Vater. Wäre Tim ein besserer Vater gewesen, wäre die Scheidung nicht in einen Rosenkrieg ausgeartet, hätte Frank nicht Zuflucht in der Greifvogel-Auffangstation gesucht und die Kriegsgeschichten wären gar nicht erst zur Sprache gekommen … Tim starrte auf die tosenden Wellen, das sturmgepeitschte Meer. Er dachte an die ertrunkenen Seeleute, die Mickey gesehen zu haben glaubte. Die Stimme seines Vaters hallte in seinen Ohren nach.
»Wollen Sie wissen, was mein Vater mir erzählt hat? Das einzige Mal, als er über seine Kriegserlebnisse sprach?«
»Was?«
»Er war dabei, als die Fenwick torpediert wurde. Sie ging direkt vor New London unter, der Treibstoff lief aus, Flammen loderten um das Wrack. Er sah, wie die Männer durch das Feuer schwammen, er hörte sie schreien. Sie verbrannten bei lebendigem Leib. Einige tauchten unter, zogen es vor zu ertrinken, statt in den Flammen zu sterben. Diese Schreie verfolgten ihn ein Leben lang. Er sagte mir, dass er sie jedes Mal aufs Neue hörte, sobald er die Augen schloss. Das erzählte er mir, als ich einundzwanzig war, und nur aus einem einzigen Grund – um zu rechtfertigen, warum er nie ein Wort darüber verloren hatte, warum er so schweigsam war, warum wir nie eine gute Vater-Sohn-Beziehung entwickeln konnten.«
»Für mich klingt das eher wie ein Versuch, Wiedergutmachung zu leisten, für das, was Sie entbehrt hatten. Wahrscheinlich hat er eine PTSD davongetragen.«
»Er war nicht der Einzige. Die meisten Kriegsteilnehmer leiden unter dieser sogenannten posttraumatischen Belastungsstörung; im Bürgerkrieg nannte man das ›Soldatenherz‹, im Zweiten Weltkrieg ›Schützengrabenschock‹ oder ›Kriegsneurose‹. Die Symptome verschwinden nicht, werden aber mit der Zeit schwächer – wenn man es überlebt und sich nicht nach der Rückkehr in den ganz normalen Alltag umbringt.«
»Immerhin hat Ihr Vater Ihnen überhaupt etwas erzählt …«
»Ein einziges Mal.« Er hielt inne, überlegte, ob er ihr seine Theorie darlegen sollte. Sie blickte ihn mit solcher Offenheit an, dass er beschloss, es zu wagen.
Weitere Kostenlose Bücher