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Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie

Titel: Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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erinnert –, aber ich habe immer gerne daran gedacht, wenn wir mit verschränkten Händen über den Gang gehen oder wenn wir alle bei Tara Flute im Keller rumhängen und Rob zu mir rübersieht und mir zuzwinkert. Ich denke gerne darüber nach, wie das Leben so spielt: wie viel sich dauernd verändert. Wie sich Leute verändern.
    Aber jetzt frage ich mich nur, wann genau ich cool genug für Rob Cokran geworden bin.
    Nach einer Weile verstummt das Kratzen an meiner Tür. Pickle hat schließlich kapiert, dass er nicht reinkommt, und ich höre seine Pfoten auf den Fußboden tapsen, als er davontrottet. Ich glaube, ich habe mich noch nie in meinem Leben so allein gefühlt.
    Ich weine, bis ich mich wundere, wie viele Tränen ein einzelner Mensch produzieren kann. Sie müssen mir aus den Zehenspitzen kommen.
    Dann sinke ich in einen traumlosen Schlaf.
    FLUCHTSTRATEGIEN
    Mit dem Gedanken an einen Film, den ich mal gesehen habe, wache ich auf. Der Protagonist stirbt irgendwie – ich habe vergessen, wie –, aber er ist nur halb tot. Ein Teil von ihm liegt da im Koma und ein anderer Teil wandert durch die Welt, in einer Art Schwebezustand. Auf jeden Fall ist ein Teil von ihm an diesem Zwischenort gefangen, solange er nicht völlig hundertprozentig tot ist.
    Das gibt mir zum ersten Mal in zwei Tagen Hoffnung. Der Gedanke, dass ich vielleicht irgendwo im Koma liege, sich meine Familie über mich beugt und alle sich Sorgen machen und mein Krankenhauszimmer mit Blumen vollstellen, fühlt sich sogar richtig gut an.
    Denn wenn ich nicht tot bin – zumindest noch nicht –, gibt es vielleicht eine Möglichkeit, es zu verhindern.
    Mom setzt mich kurz vor der dritten Stunde auf dem oberen Parkdeck ab (354 Meter hin oder her, ich werde nicht zulassen, dass mich jemand aus Moms weinrotem Accord von 2003 aussteigen sieht, den sie nicht verkaufen will, weil er so »benzinsparend« ist, wie sie sagt). Jetzt kann ich es kaum erwarten, zur Schule zu kommen. Ich habe das instinktive Gefühl, dass ich dort die Antworten finden werde. Ich weiß nicht, wie oder warum ich in dieser Zeitschleife festsitze, aber je mehr ich darüber nachdenke, umso überzeugter bin ich, dass es einen Grund dafür geben muss.
    Â»Bis später«, sage ich und mache mich daran, auszusteigen.
    Aber etwas hält mich zurück. Es ist der Gedanke, der mich die letzten vierundzwanzig Stunden über beschäftigt hat, worüber ich im Auto mit meinen Freundinnen zu reden versucht habe: dass man es vielleicht nie genau weiß. Dass man vielleicht eines Tages die Straße entlanggeht und – bumm!
    Dunkelheit.
    Â»Es ist kalt, Sam.« Meine Mutter beugt sich über den Beifahrersitz und macht mir ein Zeichen, dass ich die Tür zumachen soll.
    Ich drehe mich um und bücke mich, um sie anzusehen. Es dauert einen Augenblick, bis ich die Wörter herausbringe, aber ich murmele: »Habdichlieb.«
    Ich komme mir so komisch vor dabei, es zu sagen, es klingt eher wie Partyschiff . Ich bin mir noch nicht mal sicher, ob sie mich überhaupt versteht. Bevor sie antworten kann, knalle ich schnell die Tür zu. Es ist wahrscheinlich Jahre her, dass ich zu einem meiner Eltern »Ich hab dich lieb« gesagt hätte, außer an Weihnachten oder zum Geburtstag oder wenn sie es zuerst sagen und dann irgendwie eine Antwort erwarten. Ich bekomme ein komisches Gefühl davon, teils Erleichterung, teils Verlegenheit und teils Bedauern.
    Als ich auf die Schule zugehe, schwöre ich mir, dass heute Nacht kein Unfall stattfinden wird.
    Und was immer das hier ist – diese Zeitblase oder Zeitstörung –, ich werde daraus ausbrechen.
    Noch etwas, das man nicht vergessen sollte: Hoffnung erhält einen am Leben. Sogar wenn man tot ist, ist es das Einzige, was einen am Leben erhält.
    Es hat bereits zur dritten Stunde geläutet, also rase ich zu Chemie. Ich komme gerade rechtzeitig, um noch einen Platz neben – Überraschung! – Lauren Lornet zu ergattern. Der Test beginnt, genau wie gestern und vorgestern – nur dass ich inzwischen die erste Frage allein beantworten kann.
    Stift. Leer. Funktioniert er? Mr Tierney. Buch. Knall. Schreck.
    Â»Behalt ihn«, flüstert Lauren mir zu und klimpert fast mit den Wimpern. »Du brauchst doch heute einen Stift.« Ich versuche wie üblich, ihn ihr zurückzugeben, aber irgendwas in ihrem

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