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Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie

Titel: Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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drei Stunden auf dem Polsterhocker lag. »Keine Sorge, Sammy. Rob wird drüber wegkommen.«
    Sie denken alle, dass Rob der Grund ist, warum ich so still bin. Aber das ist es natürlich nicht. Ich bin so still, weil mich die Angst wieder heimgesucht hat, sobald der Zeiger der Uhr an der Zwölf vorbeigekrochen ist. Sie füllt mich langsam wie Sand, der durch eine Sanduhr rieselt. Mit jeder Sekunde rückt der Moment näher und näher. Das Epizentrum. Heute Morgen war ich mir so sicher, dass alles ganz einfach sein würde – dass ich nichts weiter tun müsste, als mich von der Party und vom Auto fernzuhalten. Dass die Zeit mit einem Ruck zurück in ihre Spur springen würde. Dass ich gerettet wäre.
    Aber jetzt fühlt sich mein Herz an, als würde es von meinen Rippen zusammengequetscht, und ich bekomme immer schlechter Luft. Ich habe Angst, dass sich innerhalb einer Sekunde – in der Pause zwischen zwei Atemzügen – alles in Dunkelheit auflöst und ich mich erneut allein zu Hause in meinem Zimmer wiederfinden werde, wo ich vom Plärren des Weckers wach werde. Ich weiß nicht, was ich tue, wenn das geschieht. Ich glaube, mir wird das Herz brechen. Ich glaube, mein Herz wird stehenbleiben.
    Ally schaltet den Fernseher ab und lässt die Fernbedienung fallen. »Was machen wir jetzt?«
    Â»Wir befragen die Geister.« Elody lässt sich vom Sofa auf den Boden gleiten, wo wir vorhin der alten Zeiten zuliebe ein verstaubtesOuija-Brett aufgebaut haben. Wir versuchten zu spielen, aber ganz offensichtlich schoben wir alle und der Zeiger markierte dauernd Wörter wie Penis und Schwanz , bis Lindsay »Ihr perversen Geister! Kinderschänder!« in die Luft rief.
    Elody schubst den Zeiger mit zwei Fingern an. Er dreht sich einmal, bevor er über dem Wort JA stehen bleibt.
    Â»Guck mal, Mama.« Sie hält die Hände hoch. »Ohne Hände.«
    Â»Das war keine Frage, die man mit Ja oder Nein beantworten kann, Doofi.« Lindsay verdreht die Augen und trinkt einen großen Schluck von dem Châteauneuf-du-Pape, den wir aus dem Weinkeller geklaut haben.
    Â»Diese Stadt ist echt öde«, sagt Ally. »Hier ist nie was los.«
    Null Uhr dreiunddreißig. Null Uhr vierunddreißig. Noch nie habe ich Sekunden und Minuten so schnell verstreichen, sich überschlagen sehen. Null Uhr fünfunddreißig. Null Uhr sechsunddreißig.
    Â»Wir brauchen Musik oder so was«, sagt Lindsay und springt auf. »Wir können hier nicht einfach rumhocken wie die Penner.«
    Â»Auf jeden Fall, Musik«, sagt Elody. Sie und Lindsay laufen ins Nebenzimmer, wo die Bose-Anlage steht.
    Â»Keine Musik«, stöhne ich, aber es ist zu spät. Schon dröhnt Beyoncé herüber. Die Vasen auf den Bücherregalen beginnen zu klappern. Mein Kopf fühlt sich an, als würde er gleich explodieren, und es läuft mir kalt über den ganzen Körper. Null Uhr siebenunddreißig. Ich kuschele mich tiefer ins Sofa, ziehe eine Decke über meine Knie und halte mir die Ohren zu.
    Lindsay und Elody kommen zurück ins Zimmer marschiert. Wir tragen alle alte Boxershorts und Tanktops. Lindsay hat offenbar gerade Allys Abstellkammer geplündert, denn sie und Elody sind jetzt außerdem mit Skibrillen und Fleecemützen herausgeputzt. Elodykommt angehumpelt, weil einer ihrer Füße in einem Kinderskistiefel steckt.
    Â»Oh, mein Gott!«, schreit Ally. Sie hält sich den Bauch und bricht lachend zusammen.
    Lindsay tanzt aufreizend mit einem Skistock zwischen den Beinen und schaukelt vor und zurück. »Oh, Patrick! Patrick!«
    Die Musik ist so laut, dass ich sie kaum hören kann, obwohl ich die Hände von den Ohren nehme. Null Uhr achtunddreißig. Noch eine Minute.
    Â»Komm!«, brüllt Elody und streckt ihre Hand nach mir aus. Ich bin so voller Angst, dass ich mich nicht rühren kann, ich kann noch nicht mal den Kopf schütteln, und sie beugt sich vor und brüllt: »Leb doch mal ein bisschen!«
    So viele Gedanken und Wörter schwirren mir durch den Kopf. Ich will schreien: Nein, hör auf , oder: Ja, leben , aber ich kann nichts weiter tun, als die Augen zuzukneifen und Sekunden vor mir zu sehen, die wie Wasser in ein unendliches Becken tropfen, und ich stelle mir vor, wie wir alle durch die Zeit rasen, und denke: Jetzt, jetzt passiert es, jetzt …
    Und dann ist alles still.
    Ich habe Angst, die Augen zu

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