Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie

Titel: Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
Vom Netzwerk:
öffnen. Eine tiefe Leere gähnt in mir. Ich spüre nichts. So muss es sein, wenn man tot ist.
    Dann eine Stimme: »Das ist zu laut. Euch platzen noch die Trommelfelle, bevor ihr zwanzig seid.«
    Ich reiße die Augen auf. In der Tür steht Mrs Carter, Allys Mutter, in einem glänzenden Regenmantel, und streicht sich die Haare glatt. Und Lindsay steht da mit ihrer Skibrille und Mütze und Elody versucht unbeholfen ihren Fuß aus dem Skistiefel zu befreien.
    Ich hab’s geschafft. Es hat funktioniert. Erleichterung und Freude durchströmen mich mit solcher Macht, dass ich beinahe aufheule. Aber stattdessen lache ich. Ich pruste vor Lachen in die Stille hinein und Ally wirft mir einen bösen Blick zu, als wollte sie sagen: Ausgerechnet jetzt hast du beschlossen, das lustig zu finden?
    Â»Seid ihr betrunken?« Allys Mutter starrt uns alle nacheinander an und runzelt dann die Stirn, als sie die fast leere Weinflasche auf dem Fußboden entdeckt.
    Â»Kaum.« Ally lässt sich aufs Sofa fallen. »Du hast den Rausch vertrieben.«
    Lindsay schiebt die Skibrille hoch. »Wir machen eine Tanzparty, Mrs Carter«, sagt sie strahlend, als gehörte es zu den Pfadfinderinnen-Aktivitäten, halb nackt und mit Wintersportausrüstung geschmückt herumzutanzen.
    Mrs Carter seufzt. »Jetzt nicht mehr. Es war ein langer Tag. Ich geh ins Bett.«
    Â»Moooom«, jammert Ally.
    Mrs Carter wirft ihr einen strengen Blick zu. »Keine Musik mehr.«
    Elody bekommt endlich ihren Fuß frei und stolpert rückwärts, wobei sie gegen eins der Bücherregale stößt. Martha Stewarts Haushalts-Handbuch kommt herausgeflogen und landet zu ihren Füßen. »Huch.« Sie wird knallrot und sieht Mrs Carter an, als erwartete sie, jeden Augenblick den Hintern versohlt zu bekommen.
    Ich kann nicht anders, ich fange wieder an zu kichern.
    Mrs Carter verdreht die Augen zur Decke und schüttelt den Kopf. »Gute Nacht, Mädchen.«
    Â»Na, toll!« Ally lehnt sich rüber und kneift mich in den Oberschenkel. »Idiotin.«
    Elody fängt an zu kichern und ahmt Lindsays Stimme nach. »Wir machen eine Tanzparty, Mrs Carter.«
    Â»Wenigstens bin ich nicht in ein Bücherregal gefallen.« Lindsay beugt sich vor und wackelt mit ihrem Hintern in unsere Richtung. »Küsst ihn.«
    Â»Mach ich.« Elody stürzt sich auf sie und tut so, als ob. Lindsay kreischt und weicht ihr aus. Ally zischt: »Psssst!« , gerade als wir Mrs Carter »Mädchen!« von oben rufen hören. Bald lachen sie alle. Es fühlt sich großartig an, mit ihnen zu lachen.
    Ich bin wieder da.
    Eine Stunde später liegen Lindsay, Elody und ich auf dem L-förmigen Sofa. Meine Füße sind an Lindsays gepresst und sie wackelt dauernd mit den Zehen, um mich zu ärgern. Aber im Moment kann mich überhaupt nichts ärgern. Ally hat eine Luftmatratze und ihr Bettzeug von oben runtergeschleppt (sie besteht darauf, dass sie ohne ihre Society-Decke nicht schlafen kann). Es ist genau wie in der neunten Klasse. Wir lassen leise den Fernseher laufen, weil Elody das Geräusch mag, und der Glanz des Bildschirms in dem dunklen Zimmer erinnert mich an die Sommer, in denen wir ins Freibad eingebrochen sind, um nachts zu schwimmen, daran, wie das Licht durch all das schwarze Wasser hindurch aufschien, an Stille und das Gefühl, der einzig lebende Mensch auf der ganzen Welt zu sein.
    Â»He, ihr?«, flüstere ich. Ich bin mir nicht sicher, wer noch wach ist.
    Â»Mhmf« , grunzt Lindsay.
    Ich schließe die Augen und lasse mich von dem friedlichen Gefühl durchströmen, von Kopf bis Fuß. »Wenn ihr einen Tag immer wieder durchleben müsstet, welchen würdet ihr auswählen? Ich wüsste es nicht«, füge ich hinzu. »Wie soll man sich da entscheiden?«
    Niemand antwortet mir und nach einer kurzen Weile höre ich, wie Ally in ihr Kissen schnarcht. Sie schlafen alle. Ich bin noch nicht müde. Ich bin immer noch zu glücklich darüber, hier zu sein, in Sicherheit zu sein, aus der Raum-Zeit-Blase entkommen zu sein, die mich da eingesperrt hatte. Aber ich schließe trotzdem die Augen und versuche mir auszumalen, welchen Tag ich wählen würde. Erinnerungen sausen vorbei – Dutzende und Aberdutzende Partys, Shoppingtouren mit Lindsay, wie ich bei Elody übernachtet habe und wir uns vollgestopft und über Wie ein einziger Tag geweint haben, und

Weitere Kostenlose Bücher