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Wenn du wiederkommst

Titel: Wenn du wiederkommst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Mitgutsch
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ich bin noch immer für dich da, ganz wie früher. Immer wieder versucht sie in ihren Träumen, ihn von jenem Geschäft wegzuziehen, das er auf einer Bahre verlassen hat. Denk nicht an die Münzen, bittet sie ihn, denk an deine Gesundheit, komm schon, komm nach Hause. Ich habe ohnehin nicht den ganzen Tag Zeit dafür, ich muß heim, sagt er und schiebt sie sanft ins Freie, und sie sind gerettet. Ich hab wieder von Dad geträumt, verkündet sie am Morgen, und eine warme Zuversicht geht von ihr aus,
sie spürt noch den leichten Druck seiner Hand im Rücken, sie wird die Erinnerung an diese Berührung dort festhalten, so lange sie kann, bis sie allmählich schwächer wird und einer in sich gekehrten Schweigsamkeit Platz macht.
    Wir müssen schaufeln, sagt er in einem ihrer Träume und gibt ihr eine Schneeschaufel in die Hand, wir müssen das Auto freischaufeln. Es liegt doch kein Schnee, sagt sie, es ist doch Frühling, aber sie beginnt gehorsam, den Rasen rund um das Auto wegzuharken, und da bemerkt sie, es wird ein Grab. Sie erinnert sich an den letzten Dezember, als sie nach einem Schneesturm am Wochenende das Haus zwei Tage lang nicht verlassen konnten, zwei Tage lang war Schnee in grauen wirbelnden Schwaden ums Haus getrieben und es war nicht richtig hell geworden. Am dritten Tag, als eine wässerige Sonne durch die Wolken drang, zog er den Anorak an. An der Tür rutschte er aus, lag rücklings ausgestreckt auf der Schwelle und rührte sich nicht mehr. Aber während sie noch über ihm kniete, ihn rüttelte und ihn rief, bevor sie auf die Idee kam, die Rettung zu rufen, stand er auf, sagte, was soll es schon gewesen sein, ein kleiner Schwächeanfall nach dem Herumsitzen zwei Tage lang, und ging nach draußen, um das Auto von den Schneemassen zu befreien. Vielleicht war das ja ein Hinterwandinfarkt, vermutet sie jetzt mitverspätetem Wissen, das sie sich inzwischen aus dem Internet geholt hat.
    Meine Nächte sind traumlos und kurz, und mein Schlaf ist oberflächlich, leicht zu unterbrechen, Jerome geht durch meinen Schlaf, ohne Träume zu hinterlassen, ich sehne mich nach Träumen von ihm und bitte ihn beim Zubettgehen, er möge mir diese Nacht erscheinen. So wie ich als Kind zu Gott gebetet habe, so bete ich jetzt zu ihm, aber er ist so ohnmächtig und widerspenstig wie der Gott meiner Kindheit. Und weil
ich doch nicht schlafen kann, beginne ich zu packen, nicht in Koffer, sondern in die schwarzen Plastiksäcke, in denen schon soviel von ihm abtransportiert worden ist. Methodisch leere ich Schublade um Schublade aus, beginne im Arbeitszimmer, arbeite mich zum Schlafzimmer vor, bis zum Morgen, bis das Zusammenraffen sich zu einem manischen Furor steigert, Socken, Taschentücher, Schreibpapier, alte nutzlose Schlüssel, Zeitschriften, Filmrollen, ganze Schubladen voll Batterien, warum hat er Batterien gehortet, frage ich mich. Energizer heißen sie, Energiespender. Vielleicht hat ihn das Versprechen, das dieses Wort enthielt, verführt, immer neue Batterien zu kaufen. Die meisten Gegenstände haben ohne ihn ihren Sinn verloren, sie liegen vereinzelt, zusammenhangslos herum, als habe man einen Magnet, der sie zusammenhielt, entfernt. Nur die Kleider halten seinen Geruch, die Hohlform seiner Gestalt und seine Wärme eine Weile länger fest. Ich taumle von Zimmer zu Zimmer, ziehe die Säcke hinter mir her, ich verspüre weder Hunger noch Müdigkeit, bin nur schwindlig vor Erschöpfung, weil ich nichts essen und nie länger als drei Stunden schlafen kann. Ich raffe alles zusammen, durch die Nächte und weit in den Tag hinein, als müsse ich die Spuren eines ganzen Lebens in wenigen Tagen tilgen.
    Die unausgesetzten Wolkenbrüche übertönen alles mit ihrem Rauschen, als sei die Brandung des Atlantiks ins Landesinnere eingebrochen. In einer dieser Nächte, nachdem der Regen den ganzen Tag schon mit verstärkter Heftigkeit niedergegangen ist, öffnet sich der Plafond direkt über der Seite des Bettes, auf der Jerome immer lag, ein langer Riß mit auf gequollenen Rändern tut sich auf, als breche eine schlecht verheilte Narbe auf, und Wassertropfen laufen den Riß entlang, sammeln sich in der Mitte, wo die Decke bereits durchhängt,
und verlieren den Halt, folgen immer schneller aufeinander, verdichten sich zu einem Wasserschleier, der das Schlafzimmer in zwei Hälften teilt. Draußen rauscht der Regen wie am Tag der Beerdigung, und drinnen gluckst und rieselt es in den Zwischenwänden, als wäre das Haus ein sinkendes Boot,

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