Wenn du wiederkommst
Tod, aber der Tod ist jetzt zu wirklich, um für Metaphern herzuhalten, der Tod ist jetzt die einzige Wirklichkeit, die geblieben ist. Auf dem Küchentisch brennt das Seelenlicht allmählich herunter, als wäre es sein Leben, das nach einer Woche noch einmal verlöschen wird, es ist eine dicke Kerze in einem blauen Glasbehälter mit einem weißen Magen David, und ich fürchte mich vor dem Augenblick, wenn sie verlöscht. Alles, was jetzt geschieht, ist eine einzige Wiederholung des immer gleichen Endes.
Wie spät ist es? frage ich, ich habe mein Zeitgefühl verloren. Die Tage im Mai sind sehr lang, sie reichen an beiden Tagesenden weit in die Nacht hinein.
Du siehst aus wie ein Gespenst, sagt sie mit gespielter Strenge, ich mache uns ein Omelett, wie Dad es immer zubereitet hat, mit Champignons und Cheddar Cheese. Und du brühst den Kaffee, so wie er ihn gern getrunken hat, stark und schwarz.
Ich wiege, was ich als Zwanzigjährige gewogen habe, beantworte ich ihren Vorwurf mit Verzögerung, alle meine Reaktionen sind verzögert und müssen sich unter einer Gefühlsanästhesie hervorarbeiten. Noch nie war es so leicht abzunehmen. Das Fleisch fällt mir von den Knochen, als läge ich im Grab.
Setz dich zum Frühstück, fordert sie mich auf. Auch sie war die halbe Nacht wach, aber sie war in ihrem Zimmer geblieben, ich merkte es nur am Licht unter ihrer Tür. Ich zwinge mich zu essen, ihr zuliebe, aber es gelingt mir nicht, es kommt mir vor, als seien alle Speisen mit Quellmitteln versetzt. Der Kühlschrank ist gefüllt mit Lebensmitteln, die Jerome gekauft hat. Jeden Tag stehe ich mehrmals vor dem Kühlschrank, unschlüssig, ob ich sie verbrauchen oder behalten soll, zur Erinnerung an seine Hände, die sie aus den Supermarktregalen genommen, in den Drahtkorb gestellt und zu Hause in die Kühlfächer geschlichtet haben.
Alle die Ablaufdaten, die ihn überleben, sagt Ilana, während sie an den Packungen riecht, einige zurückstellt, andere in den Müll wirft.
Wir sind so müde und zerfahren, daß uns kein Gespräch mehr gelingt.
Ich fahre heute abend, sagt sie unvermittelt.
Schon?
Du bist gestern vor einer Woche angekommen, entgegnet sie.
Es ist ein ganz und gar neutraler Satz, aber er zieht soviel Unausgesprochenes nach sich, ein halbes Leben und all seine Versäumnisse. Daß ich seit ihrem sechsten Lebensjahr immer wieder weggefahren bin, manchmal nur für zwei Tage, manchmal für eine oder zwei Wochen und dann für immer längere Zeiten. Am Anfang begehrte sie dagegen auf, wurde krank, immer am Tag vor meiner Abreise. Aber nur wenn das Fieber beängstigend hoch war, sagte ich meine beruflichen Verpflichtungen ab, denn da war immer Jerome, er war immer da, verläßlich, mütterlich. Und als sie sechzehn war, verließ ich ihren Vater und dachte, es sei für immer, und sie blieb bei ihm. Auch wenn sie am College und später an der Universität studierte und nicht zu Hause lebte, war er der alleinerziehende Vater und erntete dafür Bewunderung und Mitleid. Von da an waren wir auf Besuch, sie bei mir und ich bei ihr, aber zu Hause war nicht mehr derselbe Ort. Jetzt sagt sie, daß es Zeit sei, in ihr normales Leben zurückzukehren, und lächelt: Das ist so bei erwachsenen Kindern, Mama. Und ich denke, wie rücksichtsvoll sie ist, wie sie es vermeidet, mir Schuldgefühle zu vermitteln, und trotzdem spüre ich die Tränen hinter meinen Augen brennen, als wäre sie die Mutter und ich das Kind, das sie verläßt. Wir hocken am frühen Morgen am Küchentisch beisammen, bleich und übernächtig, sie hat die bloßen Füße unter das Nachthemd gezogen, und die dunklen, gelockten Haare fallen ihr ins Gesicht, ich möchte aufstehen und sie umarmen, aber sie wirft mir einen ihrer hilflos trotzigen Blicke zu, die sagen, ich kann nicht mehr, aber ich will keine Einmischung in mein Unglück. Auch in ihrer Trauer ist eine eifersüchtige Verschlossenheit, vor der ich meine Hände sinken lasse. Also berühre ich sie nur mit meinem Blick, lasse ihn über ihre zerbrechlichen Konturen gleiten, das regelmäßige
Oval ihres Gesichts, die störrischen Löckchen an ihrem Haaransatz, die hohen, dunklen Brauen, finde den Schmerz in ihren Augen und die Tränenspuren auf ihren Wangen, ihre vom Weinen aufgerauhte Oberlippe, und lege vorsichtig meine Hand auf ihre. Niemand wird ihn uns ersetzen können, sage ich.
Nein, erwidert sie leise, niemand kann Dir Jerome ersetzen, und niemand kann mir den Vater ersetzen.
Wir sitzen schweigend am
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