Wenn ein Reisender in einer Winternacht
wurde. «
»Macht nichts. Du kommst in ein Mustergefängnis, da gibt's eine Bibliothek, die hat sämtliche Novitäten.«
»Auch die verbotenen Bücher?«
»Wo sonst sollten die verbotenen Bücher zu finden sein, wenn nicht in einem Gefängnis?«
(Du bist den langen Weg nach Ataguitanien hergekommen, um einen Fälscher von Romanen zu fangen, und du findest dich nun als Gefangener eines Systems, in dem jeder Aspekt des Lebens gefälscht ist. Oder anders: Du warst entschlossen, dich in Urwälder, Pampas, Altiplanos und Kordilleren zu wagen auf den Spuren des Forschers Marana, der verschollen ist bei der Suche nach den Quellen der Strom-Romane, und nun rüttelst du an den eisernen Gittern der Gefängnisgesellschaft, die sich über den Planeten erstreckt und das Abenteuer in ihre trüben und immer gleichen Korridore einzwängt. .. Ist das noch deine Geschichte, Leser? Der lange Weg, den du Ludmilla zuliebe gegangen bist, hat dich so weit von ihr fortgeführt, daß du sie aus den Augen verloren hast: Da sie dich nicht mehr führt, bleibt dir nur, dich ihrem spiegelverkehrten Gegenbild anzuvertrauen, dieser Lotaria.
Aber ist sie wirklich Lotaria? »Ich weiß nicht, von wem du sprichst, du nennst Namen, die ich nicht kenne«, hat sie dir jedesmal geantwortet, wenn du auf frühere Episoden anzuspielen versuchtest. Ob ihr das die Regel des Untergrundkampfes auferlegt? Ehrlich gesagt, du bist dir gar nicht so sicher, ob du sie richtig identifizierst. Ist sie eine falsche Corinna oder eine falsche Lotaria? Mit Sicherheit weißt du nur, daß ihre Funktion in deiner Geschichte der Funktion von Lotaria gleicht, weshalb der Name Lotaria auf sie paßt und du keinen anderen für sie wüßtest.
»Würdest du leugnen, daß du eine Schwester hast?«
»Ich habe eine, aber was hat das damit zu tun?«
»Eine Schwester, die Romane mag? Romane mit Personen von komplizierter und beunruhigender Psychologie?«
»Meine Schwester sagt immer, sie mag Romane, in denen man eine elementare, urwüchsige, tellurische Kraft spürt. Genau das sagt sie: eine tellurische.«)
»Sie haben bei der Gefängnisbibliothek wegen eines unvollständigen Bandes reklamiert«, sagt der hohe Offizier hinter dem hohen Schreibtisch.
Du atmest erleichtert auf. Seit dich vorhin ein Wachmann aus deiner Zelle geholt hat, um dich durch endlose Korridore, Treppen hinunter, durch unterirdische Gänge, Treppen hinauf, durch Vorzimmer und Büros zu führen, hat die wachsende Angst dir heiße und kalte Schauer über den Rücken gejagt. Dabei wollten sie dir bloß antworten auf deine Reklamation wegen Rings um eine leere Grube von Calixto Bandera. Statt der Angst fühlst du nun wieder die Enttäuschung in dir aufsteigen, die dich überfiel, als du das bestellte Buch ausgehändigt bekamst, einen zerschlissenen Einband, der nichts weiter enthielt als ein paar lose, zerfledderte Lagen.
»Natürlich habe ich reklamiert!« antwortest du. »Sie rühmen sich dauernd der Musterbibliothek Ihres Mustergefängnisses, und wenn man sich dann ein regulär im Katalog verzeichnetes Buch bestellt, erhält man ein Häufchen loser Blätter! Wie, bitte sehr, wollen Sie mit einem solchen System die vielbeschworene Reedukation der Straffälligen erreichen?«
Der Mann hinter dem Schreibtisch nimmt langsam die Brille ab. Er schüttelt melancholisch den Kopf. »Ich kann mich leider um Ihre Reklamation nicht kümmern. Ich habe andere Aufgaben. Unsere Dienststelle unterhält zwar enge Beziehungen zu den Gefängnissen und Bibliotheken, befaßt sich aber mit weitergespannten Problemen. Wir haben Sie angefordert, weil wir Sie als Leser von Romanen kennen und Ihren Rat brauchen. Die Ordnungskräfte - Armee, Polizei, Justiz - hatten seit jeher Schwierigkeiten mit der Beurteilung, ob ein Roman verboten oder toleriert werden soll: Mangel an Zeit für ausgedehnte Lektüre, Unsicherheit der ästhetischen und philosophischen Kriterien, die dem Urteil zugrunde gelegt werden sollen. Nein, seien Sie unbesorgt, wir wollen Sie nicht zur Mithilfe bei der Lösung unserer Zensuraufgaben nötigen. Die moderne Technologie wird uns bald in die Lage versetzen, diese Aufgaben rasch und effizient zu erledigen. Wir haben Maschinen, die jeden beliebigen Text sofort lesen, analysieren und beurteilen können. Nur müssen wir eben die Zuverlässigkeit dieser Geräte von Zeit zu Zeit überprüfen. In unserer Kartei figurieren Sie als ein typischer Durchschnittsleser, und wie wir erfahren, haben Sie kürzlich -
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