Wenn ein Reisender in einer Winternacht
schlangenhaften Verrenkungen - in harmonischen, muß ich sagen -, pflanzt sie sich rittlings auf meine Knie und erstickt mich fast in ihrem Busen wie in einer Lawine. Derweil kippt Jojo vornüber und fällt auf uns drauf, aber sie schiebt ihn achtsam beiseite, ihr Gesicht nur wenige Zentimeter vor dem Gesicht des Toten, der sie anglotzt mit dem Weiß seiner aufgerissenen Augen. Ich meinerseits, von dem Überfall so aus der Fassung gebracht, daß meine physischen Reaktionen sich selbständig machen und offenbar lieber ihr gehorchen als meinem verstörten Geist, wobei ich mich nicht einmal zu bewegen brauche, weil sie auch dafür sorgt -na ja, also ich meinerseits begreife in diesem Moment: Was wir da machen, ist eine Zeremonie, der sie eine spezielle Bedeutung gibt, da unter den Augen des Toten, und ich fühle, wie sich der weiche zähe unnachgiebige Schraubstock schließt, und kann ihm nicht mehr entkommen.
»Du irrst dich, Mädchen«, hätte ich gern gesagt, »dieser Tote ist tot wegen einer anderen Geschichte, nicht wegen deiner, und diese andere ist noch nicht zu Ende.« Ich hätte ihr gern erklärt, daß da noch eine andere Frau war, zwischen Jojo und mir, in der Geschichte, die noch nicht zu Ende ist, und wenn ich hier dauernd von einer Geschichte in die nächste springe, dann tue ich das, weil ich dauernd um diese andere Geschichte kreise und vor ihr fliehe, genau wie am ersten Tag meiner Flucht, seit dem Augenblick, als ich erfuhr, daß diese andere Frau und Jojo sich zusammengetan hatten, um mich fertigzumachen. Früher oder später werde ich diese Geschichte erzählen, aber ganz beiläufig, mitten zwischen den anderen Geschichten, ohne ihr mehr Bedeutung zu geben als einer anderen, ohne irgendeine besondere Leidenschaft reinzulegen, außer der bloßen Lust am Erzählen und Sicherinnern, denn auch die Erinnerung an das Schlechte kann eine Lust sein, wenn das Schlechte vermischt ist, ich sage nicht mit dem Guten, aber mit dem Wechselhaften, Veränderlichen, Bewegten, also mit dem, was ich am Ende doch eben das Gute nennen kann, ich meine die Lust, die Dinge aus der Distanz zu sehen und sie zu erzählen, als wären sie schon vergangen.
»Auch dies wird was Schönes zum Erzählen geben, wenn wir's erstmal hinter uns haben«, sag ich zu Bernadette, als wir in dem Fahrstuhl hochfahren mit Jojo im Plastiksack. Wir wollten ihn von der Dachterrasse in einen engen Hinterhof runterwerfen, so daß man am nächsten Morgen denken sollte, er wäre ein Selbstmörder oder ein Einbrecher, der einen falschen Schritt getan hat. Und was, wenn unterwegs jemand zusteigt und uns im Fahrstuhl sieht mit dem Sack? Dann würde ich einfach sagen, der Fahrstuhl wäre grad hochgeholt worden, als wir den Müll runterbringen wollten. Es war nämlich kurz vor Morgengrauen.
»Du denkst auch wirklich an alles«, sagt Bernadette. Na klar, wie war ich wohl sonst zurandegekommen, hätte ich gern erwidert, wo ich doch seit so vielen Jahren aufpassen muß, daß mich die Bande von Jojo nicht erwischt, der seine Leute überall hat, in allen Zentren des großen Geschäfts? Aber dann hätte ich ihr den ganzen Background von Jojo und dieser anderen Frau erklären müssen, die immer von mir verlangten, daß ich ihnen den Zaster wiederbeschaffe, den sie angeblich durch meine Schuld verloren hatten, und die immer wieder versuchten, mir diese Kette von Erpressungen um den Hals zu legen, die mich jetzt zwingt, mir die Nacht um die Ohren zu schlagen auf der Suche nach einer Bleibe für einen alten Freund in einem Plastiksack.
Auch bei dem Singhalesen hatte ich damals gleich das Gefühl, daß da noch was dahintersteckte. »Ich kauf keine Krokodile, jeune homme«, sagte ich ihm. »Geh in den Zoo, ich handle mit anderen Artikeln, Bedarf für die Läden im Zentrum, Zimmeraquarien, Zierfische, höchstens mal Schildkröten. Gelegentlich werden auch Leguane verlangt, aber die führe ich nicht, sind zu empfindlich.«
Der Junge - er war vielleicht achtzehn - rührt sich nicht von der Stelle; sein Schnurrbart und seine Wimpern liegen wie schwarze Federn auf den orangefarbenen Wangen.
»Wer hat dich zu mir geschickt, das möcht ich gern wissen«, frag ich, denn immer wenn Südostasien im Spiel ist, bin ich ein bißchen mißtrauisch, und das nicht ohne gute Gründe.
»Mademoiselle Sibylle«, sagt er.
»He, was hat meine Tochter mit Krokodilen zu tun?« ruf ich überrascht, denn ich finde es zwar in Ordnung, daß sie seit einiger Zeit selbständig lebt, aber
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