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Wenn Es Dunkel Wird

Wenn Es Dunkel Wird

Titel: Wenn Es Dunkel Wird Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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müsste.
    »Da drüben wohnt seit Jahren niemand«, sagte er.
    »Woher willst du das wissen? Nur weil du da noch niemanden gesehen hast?« Ich drehte mich zu ihm um.
    »Okay, kommst du mit nachsehen?« War dies das Zeichen? Mein Herz hüpfte, und wenn er gesagt hätte »Mel, komm, wir hauen zusammen ab« – ich hätte nicht eine Sekunde gezögert.
    Tammy nahm eine Dusche, während Claas die Ratte entsorgte und ich hinter Julian über die Mauer zum Nachbargrundstück kletterte. Ich strauchelte, als ich mich auf der anderen Seite herunterließ. Das Grundstück lag um einiges tiefer als das unsrige. Julian fing mich auf. »Alles okay?«, fragte er, worauf ich nickte und seine Hand festhielt. Er mag mich doch, dachte ich. Er traut sich nur nicht. Ich fasste neuen Mut, ich würde ihn zu nichts drängen. Geduckt liefen wir unter den Pinien und den dichten, wild wachsenden Büschen hindurch und suchten nach Spuren, Fußabdrücken, abgeknickten Zweigen – nach einem Menschen, der sich hier irgendwo verbarg und uns beobachtete.
    »Hier!«, flüsterte er und blieb so abrupt stehen, dass ich an seine Schulter stieß. Wie warm sie sich anfühlte. Sofort schlug mein Herz schneller, ich schloss kurz die Augen, um diesen Moment ganz tief in mir festzuhalten. Auch er rührte sich nicht – glaubte ich zumindest. Oder war mir nur das Zeitgefühl völlig abhandengekommen? Dehnten sich diese intensiven Sekunden nur in meiner Wahrnehmung zu sehnsuchtsvollen Minuten?
    »Guck mal«, sagte er und bückte sich – während ich stehen blieb. Er hob etwas vom Boden auf und für einen kurzen Moment glaubte ich, es sei noch eine Ratte.
    »Espadrilles!«, verkündete er und lachte leise. »Der Typ trägt jetzt nur noch einen.«
    »Der ist verschimmelt«, bemerkte ich trocken. Julian warf einen Blick auf den Schuh, nickte und warf ihn wieder ins Gebüsch. Er erhob sich.
    »Und jetzt?«
    »Hm.« Er ließ seinen Blick umherschweifen und zuckte die Schultern. »Bestimmt ist er längst abgehauen.«
    Wer wäre auch dort hocken geblieben und hätte darauf gewartet, von uns entdeckt zu werden? Doch eigentlich spielte das für mich gar keine Rolle. Ich wollte am liebsten ewig mit ihm in diesem fremden Garten herumirren.
    Aber wir stapften nur noch schweigend unter den Bäumen herum und blieben schließlich unter einer mächtigen Pinie stehen. Es roch nach Harz und süßen Blüten. Und ich musste mein Verlangen, ihn zu umarmen und zu küssen, mit aller Kraft unterdrücken.
    »Ich bin ganz sicher, dass ich etwas aufblitzen gesehen habe. Ein Fernglas oder so«, sagte ich so ruhig wie möglich und lehnte mich mit dem Rücken an den Stamm.
    »Vielleicht auch nur eine Fensterscheibe«, meinte er und sah in Richtung Haus.
    »Da sind Läden davor«, wandte ich ein. Er wirkte unschlüssig. Mein Gott, es wäre so einfach für ihn, mich hier und jetzt zu küssen. Realisierte er denn nicht, dass ich nur darauf wartete?
    Ich streckte meine Hand nach ihm aus, aber er steckte sie in die Hosentasche und trat einen Schritt zurück.
    Ich weiß nicht mehr, was ich in dem Moment fühlte. Kränkung? Wut? Wie würdest du dich fühlen? Jedenfalls wusste ich, ich würde mich nicht noch weiter erniedrigen.
    »Julian?« Er sah unsicher zur Mauer unseres Grundstücks hinüber, darauf bedacht, meinem Blick nicht zu begegnen. »Warum ist Tammy so gemein zu mir?«
    Er wirkte erleichtert und sah mich kurz von der Seite an. »Sie … sie ist manchmal so, mach dir einfach nichts draus. Sie meint es nicht so.«
    Sie meint es absolut genau so, hätte ich erwidern können, aber ich fragte: »Warum nimmst du sie eigentlich immer in Schutz?«
    Sein Lächeln wirkte gezwungen. Und die Nähe, die ich zwischen uns gespürt hatte, war wieder einmal dahin. »Sie ist meine Schwester«, sagte er, als erkläre das alles.
    »Ich finde, sie lässt dich ganz schön nach ihrer Pfeife tanzen«, traute ich mich zu sagen.
    Schweigen.
    »Ach, Mel!«, lachte er und wandte sich mir zu. »So ist das nun mal zwischen Geschwistern.«
    Ich hatte genug. Ich konnte es nicht mehr hören. Entschlossen stieß ich mich von dem Baumstamm ab. »Dann sollten wir schleunigst wieder raufgehen. Nicht dass deiner kleinen Schwester inzwischen was zugestoßen ist!«
    »Warte!« Er hielt mich am Handgelenk fest und sah auf mich herab. In seinem Tonfall lag etwas Hartes, Drohendes. Er kam mir plötzlich ganz fremd vor.
    »Sag nie wieder so was über Tammy, okay?« Dabei sah er mir fest in die Augen.
    Ich schluckte. Ich hatte

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