Wenn es Nacht wird in Manhattan
und du lebst. Gott sei Dank. Gott sei Dank!”
Sie glaubte, Cashs tiefe Stimme zu hören. Er klang verängstigt. Aber er hasste sie. Er konnte unmöglich bei ihr sein. Jemand hatte sie geschlagen, heftig und oft. Sie erinnerte sich, dass sie zum Schluss nur noch weinend um Gnade gebettelt und um ihr Leben gefleht hatte. Sie konnte nicht kämpfen. Es hätte nichts genützt. Sie wollte Cash, aber er verachtete sie. Sie hatte ihr gemeinsames Kind verloren. Er würde ihr niemals verzeihen. Das musste ein weiterer Traum sein.
Unter ihren geschlossenen Lidern quollen Tränen hervor.
“… hasst mich”, wimmerte sie. “Er hasst mich.”
“Nein”, sagte er heiser. “Das tut er nicht.”
Unruhig bewegte sie den Kopf auf dem Kissen hin und her. “Lass mich in Ruhe”, brachte sie mühsam flüsternd hervor. “Es ist egal, was mit mir geschieht.”
“Ganz und gar nicht.”
Er klang verzweifelt. Jetzt träumte sie ganz gewiss. Er flehte sie an. Er wollte sie. Es tat ihm leid. Sie musste ihm vergeben. Sie musste weiterleben.
Moment mal – das konnten nur Halluzinationen sein. Er hatte ihr doch gesagt, sie solle sich zum Teufel scheren. Genau das hatte sie getan. Besser hätte man nicht beschreiben können, was ihr in diesem düsteren Lagerhaus zugestoßen war. Man hatte ihr die Rippen gequetscht, Wunden zugefügt, ihre Haut aufgeritzt. Die Zukunft erschien ihr wie eine undurchdringliche Nebelwand. Die Aussicht auf Arbeit konnte sie nicht ermutigen. Nicht einmal die Tatsache, dass sie Rory wiedersehen würde. Sie war so müde von den täglichen Kämpfen. Vor ihr lag nur noch unerträgliches Leid. Sie begann zu weinen und stöhnte erneut, weil es ihr Schmerzen in der Lunge bereitete. Genau in dem Augenblick, als die Krankenschwester eilig zurückkam, wurde ihre Stimme lauter.
Cash musste das Zimmer verlassen. Protestierend befolgte er die Aufforderung. Er machte sich die schlimmsten Vorwürfe. Es klang so, als habe sie jeglichen Lebenswillen verloren. Sie wollte aufgeben und sterben. Er durfte sie nicht gehen lassen!
“Das wird schon wieder”, versicherte ihm die Schwester in munterem Tonfall. “Ruhen Sie sich ein wenig aus. Wir kümmern uns schon um sie. Sie wird nicht sterben. Wirklich nicht. Das werden Sie bald sehen.”
Sie war eine erfahrene Frau, die sich mit allen Arten von Verletzungen auskannte. Als sie in den gequälten Blick seiner dunklen Augen sah, entdeckte sie mehr darin, als ihm lieb war.
“Sie wird nicht aufgeben”, fuhr die Schwester gelassen fort. “Dafür werde ich schon sorgen, das verspreche ich Ihnen. Sie haben noch genug Zeit, um alles wiedergutzumachen.” Sie ließ seine Hand los und lächelte ihm zu. “Sie sollten versuchen, ein bisschen zu schlafen. Ihr wird es bald wieder besser gehen. Wir lassen sie nicht aus den Augen. Einverstanden?”
Er spürte einen Hauch von Erleichterung. Er war so schrecklich müde. Und er hatte solche Angst …
“Einverstanden”, sagte er nach einer Minute.
Sie führte ihn in den Warteraum und drückte ihn sanft in einen Sessel. “Ich komme zu Ihnen, wenn wir sie ins Zimmer gebracht und versorgt haben.”
“Sie bringen sie schon von der Intensivstation?”, fragte er verdutzt.
“Natürlich”, antwortete sie mit einem vergnügten Lächeln. “Rekonvaleszenten haben dort nichts zu suchen.”
Damit drehte sie sich um und verließ den Raum. So bekam sie nicht mit, dass seine Augen feucht wurden. Sie würde leben. Selbst wenn sie ihn hasste, sie würde weiterleben. Er schloss die Augen und lehnte sich zurück. Ein paar Sekunden später schlief er tief und fest.
8. KAPITEL
C ash wurde erst wieder wach, als Rory ihn heftig schüttelte.
“Komm, Cash, sie ist aufgewacht! Sie ist ein bisschen daneben, weil sie ihr so viele Schmerztabletten geben, aber sie hat die Augen geöffnet. Mein Gott, sie sieht entsetzlich aus.”
Cash riss die Augen auf. Er musste ein paar Mal blinzeln, ehe er den strahlenden Jungen vor sich deutlich sehen konnte. “Sie ist wach?”, wiederholte er verständnislos.
Rory nickte. “Ich bin auch gerade erst wach geworden. Es ist schon fast elf. Na mach schon.”
Während Cash langsam auf die Füße kam, ächzte er: “Ich werde allmählich zu alt für diese Art von Arbeit.”
Schweigend musterte Rory den hochgewachsenen Mann. “Du hast sie da rausgeholt, stimmt’s?”
Cash nickte. “Ich habe Verstärkung mitgenommen. Einer meiner Freunde war bei mir, aber du weißt davon nichts”, sagte er mit Nachdruck.
Rory
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