Wenn es Nacht wird in Miami
ein College-Stipendium bekommen könnte, wenn ich hart genug an mir arbeitete. Anfangs bin ich immer nur für ein paar Extraeinheiten nach dem Mannschaftstraining geblieben. Dann trafen wir uns auch außerhalb der Trainingszeiten und an Wochenenden. Ich hatte mich in ihn verliebt oder mir das wenigstens eingebildet, und als er mich küsste, habe ich geglaubt, dass er mich auch liebt.“
Die Stimme wollte Carly versagen, und sie brauchte einen Augenblick, bevor sie fortfahren konnte. „Bis ich schwanger wurde, hatte ich keine Ahnung davon, dass er verheiratet war. Dann eröffnete er mir, dass es ihm nicht im Traum einfiele, meinetwegen Frau und Kinder zu verlassen. Aber er bot mir an, mir bei meinem Problem, wie er es nannte, zu helfen. Schöne Hilfe. Schließlich hatte ich nur noch meine Eltern, denen ich mich anvertrauen konnte. Sie gingen zur Polizei – und Wesley ging zur Zeitung. Er hat den Reportern erzählt, ich sei eine Schlampe, die es nur darauf abgesehen hätte, seine Ehe und seine Familie zu ruinieren. Er hat es so gedreht, als sei ich eine Gefahr für all die unschuldigen Jungen an der Highschool. Dass sie ihm geglaubt haben und nicht mir, hatte seinen Grund.“
Carly musste sich noch einmal unterbrechen, um sich zu sammeln. Das Folgende auszusprechen fiel ihr unendlich schwer, denn sie liebte ihre Schwester noch immer, auch wenn Marlene ihr mit ihrem Leichtsinn manch bösen Streich gespielt hatte.
„Marlene hat schon ziemlich früh Erfahrungen mit Jungs gemacht“, fuhr Carly stockend fort. „Und dann ist es häufiger vorgekommen, dass sie, wenn sie mit einem Mann geschlafen hatte, sich … für mich ausgegeben hat. So hatte ich, ohne es anfangs zu ahnen, einen ziemlich üblen Ruf weg, obwohl ich vor Wesley nie mit jemandem geschlafen habe.“
Eine erste Träne rollte Carly über die Wange. Sie wischte sie fort. „Das Schlimmste von allem aber war, dass man mir deshalb meine Tochter weggenommen hat. Ich habe nicht mal eine Ahnung, wie sie jetzt heißt. Ich werde sie niemals lachen hören, niemals ihre Stimme hören. Ich kann sie nicht trösten, wenn sie traurig ist, und ich werde ihr niemals sagen können, wie lieb ich sie habe und schon gehabt habe, bevor sie überhaupt auf der Welt war.“ Carly unterdrückte ein Schluchzen. „So, jetzt kennst du die Geschichte. Du hast ja jetzt genügend in der Hand, um mir Rhett wegzunehmen. Versuch es nur. Aber mit dem Mann, für den ich dich gehalten habe, in den ich mich verliebt habe, hast du nichts mehr zu tun.“
Sie drehte sich um und lief durch die Halle und die Treppe hinauf. Mitch rief sie nicht zurück. Als sie in ihrem Zimmer angekommen war, schloss sie ab, lehnte sich an die Tür, glitt ganz langsam zu Boden und kauerte schließlich dort wie ein Häuflein Elend.
11. KAPITEL
„Hat sich erledigt mit heute Abend.“
Es war Freitagnachmittag. Mitch hatte nur kurz in Rands Büro hereingeschaut, hatte diesen einen Satz fallen gelassen und war gleich darauf wieder verschwunden. Er hatte keine Lust zu langen Erklärungen.
Rand sprang hinter seinem Schreibtisch auf und eilte ihm nach. Auf dem Flur hatte er ihn eingeholt. „Moment mal. Du kannst mir nicht einfach so eine Bombe vor die Füße schmeißen und dich wieder verdrücken. Was ist mit deiner Hochzeit? Hast du es dir anders überlegt? Bist du zur Vernunft gekommen, oder was?“
Mitch setzte seinen Weg unbeirrt fort, ohne sich zu Rand umzudrehen, aber der folgte ihm auf den Fersen, bis sie Mitchs Büro erreichten.
„Los, spuck es aus“, beharrte Rand, als sie durch das Vorzimmer gingen. Zu Mitchs Sekretärin sagte er im Vorübergehen: „Marie, die nächste Viertelstunde keine Anrufe!“ Darauf verschwanden die beiden Brüder im Büro, und Rand schloss die Tür hinter sich. „Also …?“
„Ich hatte Frank Lewis, Dads Privatschnüffler, darauf angesetzt, Carlys Vergangenheit zu durchleuchten, genauso wie die Geschichte mit Marlenes Unfall.“
„Und was ist dabei herausgekommen? Carly ist schon verheiratet. Oder sie hat bereits vier Ehemänner abgemurkst. Oder sie ist in Wirklichkeit ein Mann. Was denn nun?“
Mitch verzog das Gesicht. Er hatte in diesem Augenblick überhaupt keinen Sinn für Rands eigenartigen Humor. „Blödsinn. Frank hat zwar einiges über ihre Vergangenheit herausgefunden, aber das sind für mich keine Gründe, die gegen die Heirat sprechen.“ Er rieb sich mit der Hand über die Augen, als wollte er damit das Bild von Carlys todtraurigem, enttäuschtem Blick
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