Wenn es Nacht wird: Psychothriller (German Edition)
irgendwas, aber ich konnte nichts verstehen. Der Größere mit der Lederjacke schien den anderen zu beschimpfen. Zwischen seinen verbalen Angriffen wippte er auf seinen Absätzen vor und zurück, so dass er immer wieder um die Ecke des Büros in Richtung Wasser schauen konnte. Zur Revenge .
Ich hörte das Handy nicht klingeln, doch der Größere der beiden Männer hielt es ans Ohr und brachte den anderen mit erhobenem Zeigefinger zum Schweigen.
Ich hielt den Atem an. Ich verstand noch immer nicht, was sie sagten, aber die Tonlage war eindeutig: eindringlich, wütend.
Er beendete das Gespräch und schüttelte frustriert den Kopf. Der Mann im grauen Fleecepulli fragte ihn irgendwas. Er schüttelte noch einmal den Kopf.
Ohne weitere Diskussionen drehten sie sich um und entfernten sich vom Büro. Ich drückte mich in den Schatten direkt vor der Wand des Schuppens und hoffte, sie würden mich nicht atmen und mein Herz nicht schlagen hören.
Als sie vorbeigingen, bekam ich mit, wie einer sagte: »Er muss sich entscheiden, das ist alles. Ich habe die Schnauze voll, rumgeschubst zu werden …«
»… und tagelang hier zu stehen …«, sagte der andere, als sie am Schuppen vorbeigingen.
Ich rührte mich nicht von der Stelle. Meine Beine zitterten, genau wie meine Hände. Ich sah mich im Schuppen um – da standen Kisten von Roger und Sally, eine Tiefkühltruhe, ein altes Zelt in einem Leinensack, das schon so lange da war, dass keiner mehr wusste, wem es eigentlich gehörte, und in der Ecke Camerons altes Triumph-Motorrad – eigent lich wollte er es herrichten, doch niemand von uns hatte ihn je in dessen Nähe gesehen.
Die vertrauten Gegenstände sorgten dafür, dass meine Beine aufhörten zu zittern. Ich spähte durch den Türspalt – niemand war zu sehen. Aus der Ferne waren Verkehrs geräusche zu hören. Ich ging zur Tür und betrat dann den ungepflasterten Weg. Ich war allein. Die Tür war ge schlossen, das Büro dunkel. Dahinter ruhten die Boote auf ihrem schlammigen Bett.
Die Männer waren nach links gegangen und verschwunden. Ich folgte ihnen, schlich um die Ecke des Gebäudes für den Fall, dass sie dahinter warteten. Nichts. Der Parkplatz war leer.
Sie waren weg.
Ich ging zurück zum Schuppen und holte mein Fahrrad. Kurz überlegte ich, zurück zum Boot zu gehen und ein paar Sachen zu holen. Doch Dylan hatte gesagt, ich solle das Boot SOFORT verlassen.
Ich radelte den Hügel zur Hauptstraße hinauf und hielt die ganze Zeit nach den Männern und ihren Autos Ausschau. Doch bis zur Hauptstraße begegnete ich nichts und niemanden.
Ich fuhr bis zum Schloss; an den Außenmauern wucherte feuerroter wilder Wein, der wie Lava über die Festungsmauern herabfloss. Ich trug mein Fahrrad ein paar Stufen hinauf in den Hof der Festung und fand eine Bank. Dann zog ich beide Handys aus der Tasche. Ich wollte Dylan noch einmal anrufen, doch irgendwas sagte mir, dass sein Handy bestimmt ausgeschaltet war. Stattdessen rief ich von meinem Handy aus Jim an.
Es dauerte eine Weile, bis er dranging.
»Hallo, hier ist Genevieve.«
»Hi.« Er klang, als wäre er nach wie vor sauer auf mich.
»Dylan hat mich angerufen.«
»Was hat er gesagt?«
»Er hat gesagt, dass ich das Boot sofort verlassen soll. Ich werde beobachtet, solle das Boot verlassen und dich anrufen. Also rufe ich dich an.«
»Wo bist du?«
»Rochester Castle. Ich bin mit dem Fahrrad unterwegs. Kann ich … Kann ich mich irgendwo mit dir treffen?«
Eine Pause entstand, ich hörte ein gedämpftes Geräusch, als hielte er das Handy an seine Schulter.
»Gen, ich bin im Dienst und kann jetzt schlecht weg. Bist du in Sicherheit? Bist du sicher, dass dir niemand gefolgt ist?«
»Ich habe niemanden gesehen. Hier ist niemand. Jedenfalls niemand Verdächtiges«, sagte ich und sah zu dem Pärchen mit Kinderwagen hinüber, das über die Wiese spazierte. An der Schlosstreppe saß ein älteres Paar auf einer Bank. Die Frau lachte. Ein paar Studenten mit Rucksäcken lagen auf der Wiese. Ich hörte leise Musik aus einem Handy.
»Ich schicke jemanden vorbei, in Ordnung?«
»Das musst du nicht, ich bin hier in Sicherheit, es sind viele Leute unterwegs«, sagte ich. »Jim, was zum Teufel ist eigentlich los?«
»Das weiß ich auch nicht genau. Verhalte dich einfach ganz unauffällig. Ich komme, so schnell es geht. Trag dein Handy bei dir, bleib, wo man dich sehen kann, und ruf notfalls die 999 an. Verstanden?«
»Klar«, sagte ich.
Er legte auf.
Ich saß auf der Bank
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