Wenn es Nacht wird: Psychothriller (German Edition)
den Stoffen und die Farbtöpfe neben der Tür schienen mich zu verhöhnen, doch ich machte stur weiter, um mich zu beschäftigen. Meine Hände zitterten. So konnte ich nicht nähen. Malern war da die bessere Lösung.
Als ich wieder aus dem Lagerraum auftauchte, saß das Boot bereits auf dem Schlamm. Ich ging in den Gästeraum. Er war so, wie ich ihn verlassen hatte. Die Wände sahen blass und im fahlen Nachmittagslicht beinahe transparent aus.
Ich holte Farbe und Pinsel hervor und hebelte mit meinem klebrigen Schraubenzieher die Deckel von den Farbtöpfen. Es war nicht mehr sehr viel Farbe übrig. Selbst wenn auf den Dosen stand, dass sie dieselbe Farbe enthielten, würde auf solchen Holzverkleidungen jeder noch so kleine Farbunterschied auffallen. Ich wollte mit der Koje beginnen; wenn mir die Farbe ausging, konnte ich die Wände immer noch in einer anderen Farbe streichen, ohne dass es seltsam aussah.
Der Farbrest reichte gerade noch für die Koje.
Als ich die Pinsel in der Kombüse über dem Spülbecken auswusch, hörte ich draußen ein Geräusch. Ich ging die Stufen hinauf und öffnete die Tür zum Steuerhaus. Malcolm war an Deck der Scarisbrick Jean . Als er mich sah, duckte er sich weg. Ich musste nicht fragen, wo er gewesen war. Er sah aus, als hätte er sich mit einer Motorsense gestritten, so rot war seine Kopfhaut unter den kurzen grauen Haarstoppeln.
»Malcolm«, rief ich. »Toller Haarschnitt!«
Sein Gesicht kam wieder zum Vorschein, er wirkte niedergeschlagen und sah aus, als würde er gleich heulen. »Nie wieder!«, sagte er.
Ich ging hinüber zur Scarisbrick Jean , um nicht schreien zu müssen. Er blieb, wo er war, hatte einen Fuß auf die Stufe zur Kabine gestellt und die rechte Hand auf das Dach gestützt.
»Ist das Josies Rache dafür, dass du letztes Mal ihren Haarschnitt ignoriert hast?«
»Vergiss es!«, sagte er. Er klammerte sich so an das Bootsdach, dass seine Fingerknöchel weiß wurden.
»Wie geht es Josie?«, fragte ich. »Hat sie einen Kater?«
»Ja, sie schläft.«
»Oh«, sagte ich und fügte hinzu: »Ist alles in Ordnung, Malcolm?«
»Ja«, antwortete er.
Ich glaubte ihm nicht.
»Sieht so aus, als wärest du heute ziemlich beschäftigt, also dann …«
»Ja, ein wenig.«
»Dann fahren wir vielleicht morgen mit dem Boot raus?«
»Ja, vielleicht.«
Ich versuchte, nicht enttäuscht auszusehen, doch der Schlafmangel und der Stress angesichts meiner Situation schafften mich langsam. Malcolm ließ mich nicht aus den Augen und versperrte mit seinem klapprigen Körper den Eingang zu seinem Boot.
»Na gut«, sagte ich. »Grüß Josie von mir.«
Ich ließ ihn stehen und ging zur Revenge zurück. Als ich mich umdrehte und die Steuerhaustür schloss, stand er immer noch so da, wie ich ihn verlassen hatte, und starrte vor sich hin.
Auf dem Boot war alles ruhig.
Ich wusch die Pinsel aus. Als sie sauber waren, stellte ich sie in ein leeres Marmeladenglas zum Trocknen. Ich sollte wieder ins Bett gehen und ein wenig schlafen, dachte ich. Ich fühlte mich leer und wie betäubt, hatte das Gefühl, auf etwas zu warten.
Ich zuckte zusammen, als das Handy im Regal hinter der Essecke unter irgendwelchen Unterlagen laut und schrill klingelte. Es musste zweimal klingeln, ehe ich es gefunden hatte.
GARLAND .
»Hallo?«
»Genevieve?«
War ich erleichtert, seine Stimme zu hören! »Ja, Dylan?«
»Du musst verschwinden. Sofort!«
»Was?«
»Geh sofort von Bord. Nimm dein Handy mit. Ruf Jim an – verstanden?«
»Was ist los?«
»Sie beobachten dich, aber jetzt sind sie gerade weg – wie lange, weiß ich nicht. Fitz trifft sich mit ihnen. Runter vom Boot. SOFORT !«
36
Ich griff nach meinem Fleecepulli und meinen beiden Handys, rannte die Treppe hinauf zum Steuerhaus und verriegelte die Tür hinter mir, als könnte das irgendwen aufhalten. Ich rannte über den Ponton zum Schuppen und schloss mein Fahrrad auf.
Als ich es aus dem Ständer zog, hörte ich draußen ein Geräusch. Ich hielt inne und versteckte mich hinter der Tür des Schuppens, für den Fall, dass jemand reinkam. Ich hörte nur Gesprächsfetzen. Durch den Türspalt sah ich zwei Männer in der Nähe des Büros. Einer hatte ein Handy in der Hand.
Ich kannte keinen der beiden. Sie trugen Jeans, einer hatte einen grauen Fleecepulli an, der andere eine schwarze Leder jacke. Beide waren über einen Meter achtzig groß und fast ebenso breit, mit den klassischen Schlägerhaarschnitten. Sie unterhielten sich lebhaft über
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