Wenn es Nacht wird: Psychothriller (German Edition)
und trotzdem anders war. Ich holte die Taschenlampe und leuchtete es an. Da sah ich Caddys Gesicht. Sie hatte ein Auge geschlossen, das andere war halb geöffnet und starrte mich mit einem bizarren Zwinkern an. Ihr dunkles, wirres Haar rankte sich im trüben Wasser um ihr Gesicht.
Ich ließ den Bootshaken fallen. Mit lautem Poltern knallte er ans Seitendeck, fiel auf den Ponton und rollte aus. Ich keuchte, fand dann meine Stimme wieder und begann zu schreien. Ich schrie lauter und heftiger als je zuvor in meinem Leben.
5
Der Schock setzte ein, als es gerade hell wurde.
Josie, die früher einmal Rettungssanitäterin gewesen war, saß im Wohnraum der Souvenir neben mir und ließ mich nicht aus den Augen.
Die Polizei war auf mein Boot gekommen.
Malcolm hatte sie gerufen. Er und Josie waren als Erste bei mir aufgetaucht, kurz darauf waren alle Leute am Hafen wach geworden, hatten sich irgendwas übergezogen, schwirr ten herum und warteten auf die Polizei. Der Reihe nach leuchteten sie mit der Taschenlampe seitlich des Boots auf die Leiche. Irgendwann hatte Malcolm sie angebrüllt, dass sie sich sammeln und auf die Polizei warten sollten, um den Tatort nicht zu kontaminieren. Da waren die meisten auf ihre Boote zurückgekehrt.
Ein Streifenwagen mit zwei Polizisten war gekommen. Wir hatten sie auf dem Hafenparkplatz empfangen. Die auto matische Beleuchtung funktionierte immer noch nicht, also war es dunkel, und ich zitterte von Kopf bis Fuß. Ein Beamter fragte mich, was ich gesehen und gehört habe, während der andere losging, um nachzusehen.
Ich hatte nicht geweint. Nur ein unkontrolliertes, schockiertes Jammern, dass ich Caddy so hatte vorfinden müssen, war aus meinem tiefsten Inneren hervorgebrochen: ausgerechnet Caddy, meine Caddy. Das Jammern ging weiter, bis ich keine Luft mehr hatte, und die ganze Zeit über hatte Josie mich fest an sich gedrückt und mich hin und her gewiegt, während ich mich an sie klammerte.
Als ich mich endlich beruhigt hatte, hatte man mich mit Sally und Josie auf die Souvenir geschickt. Noch mehr Streifenwagen waren aufgetaucht, und über den Fluss kam ein Motorboot, in dem weitere Polizisten saßen. Sie hatten eine Art Netz über das Heck meines Bootes geworfen und das andere Ende am Ponton befestigt, vermutlich damit die Lei che nicht mit der einsetzenden Ebbe fortgeschwemmt würde, obwohl es nicht danach aussah, als wolle sie sich lösen. Es war inzwischen hell geworden, die Ebbe hatte eingesetzt, ich saß im Wohnraum mit einer Decke über den Schultern und einer weiteren über den Knien und zitterte trotzdem. Ich musste ständig an meine schmutzigen Turnschuhe denken und daran, ob es auffallen würde, wenn ich sie auszog.
Die Leute stellten mir unaufhörlich Fragen, ich antwortete nur: »Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht.« Ich nahm nur die Hälfte der Menschen in der Kajüte wahr, und sie redeten über mich, als gäbe es mich gar nicht. Ehrlich gesagt war ich auch nur physisch anwesend.
Caddy war tot. Ein Unfall? War sie aus irgendeinem Grund in der Dunkelheit gestolpert? War sie schon früh zur Party gekommen, und ich hatte es nicht bemerkt? War sie hingefallen, über irgendwas gestolpert und mit dem Kopf an einen Pfosten geknallt? Warum hatte ich nichts gehört? Warum hatte ich nichts bemerkt?
»Was ist los?« Das war Roger. Er hatte trotz des ganzen Tumultes offenbar selig geschlafen.
»Im Wasser liegt eine Leiche. Am Rumpf der Revenge of the Tide .«
»Wie geht es ihr?« Das war Malcolms Stimme.
»Sie wird sich schon wieder fangen. Ich kümmere mich um sie. Sie braucht nur ein wenig Ruhe, das ist alles.«
»Genevieve?«
»Malcolm, lass sie in Ruhe, okay? Du müsstest das doch eigentlich wissen.«
»Ich wollte sie nur fragen, ob ich mit der Polizei reden soll. Du weißt schon, als eine Art Mittelsmann …«
»Wozu sollte sie einen Mittelsmann brauchen, du Volltrottel? Sie kann selbst mit der Polizei reden, falls das nötig sein sollte. Wie dem auch sei, sie hat nichts gesehen, sondern einfach nur die Leiche entdeckt. Das hätte jedem von uns passieren können.«
»Ihr Boot ankert am nächsten zum Fluss. Die Leiche muss von Cuxton den Fluss herabgeschwemmt worden sein. Ihr Boot wäre das erste gewesen, in dem sie sich, flussabwärts kommend, verfangen hätte.«
»Wer sagt denn, dass die Leiche aus Cuxton stammt?«
»Das habe ich ja auch gar nicht behauptet. Ich habe nur gesagt, dass sie aus der Richtung von Cuxton gekommen sein muss, das ist alles. Da kam
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