Wenn es Nacht wird: Psychothriller (German Edition)
mich einsam gefühlt, mehr nicht. Ich muss dir nicht leidtun. Ich fühle mich selten einsam, nur heute.«
»Nun, das bist du ja jetzt nicht mehr. Wir können uns gemeinsam einsam fühlen.«
»Klingt gut.«
»Du siehst traurig aus«, sagte ich.
Er lachte, doch es klang keineswegs heiter. Er schenkte mir Wein nach. »Ich bin nicht traurig, ich werde nur älter.«
»Du bist doch nicht alt.«
»Aber älter als du.«
»Na und?«
»Na schön, heute fühle ich mich eben alt. Außerdem ist das eine gute Ausrede, um mich zu betrinken.«
Ich lächelte ihn an und begann seine Gesellschaft zu genießen. »Wir brauchen was Stärkeres«, sagte ich.
»Seltsam, dass du das erwähnst«, sagte er und zog eine Flasche Wodka aus der Tasche, die neben der Treppe zum Steuerhaus stand. »Ich hoffe, du magst das.«
»Herrje«, sagte ich, »das ist ja noch besser als Amphetamine.«
Danach fanden wir alles nur noch lustig. Wir tranken und hörten Jazz im Radio, den keiner von uns wirklich leiden konnte. Bei jeder Grimasse zu einer schrägen Note mussten wir trinken. Und so wurden wir immer betrunkener und betrunkener.
Der Tasche und der Flasche entnahm ich, dass er die Nacht bei mir verbringen wollte. Und so, wie er den Wodka in sich hineinschüttete, musste er morgen auch nicht zur Arbeit. Als das endlich bis zu meinem armen, betrunkenen Gehirn durchsickerte, wurde mir klar, dass ich mich heute Nacht endlich entspannen konnte.
Niemand würde versuchen, auf mein Boot zu kommen, jedenfalls nicht heute Nacht. Dylans Päckchen war sicher.
23
An einem Freitagnachmittag entgleiste Dunkerley erneut.
Trotz der anstrengenden Woche freute ich mich auf das Tanzen und konnte es kaum erwarten, ins Barclay zu gehen und abzuschalten.
Für den Nachmittag war eine Besprechung anberaumt worden, und zu meinem Leidwesen erschien außer mir niemand. Wir hatten tagsüber sehr viel zu tun gehabt, deswegen war mir nicht aufgefallen, dass kaum einer vom Team im Haus war. Gavin war auf Teneriffa, und Lucy hatte sich einen halben Tag freigenommen, um sich die Nägel machen zu lassen. Also blieben nur noch Dunkerley und ich übrig.
In der Personalabteilung hatte man ihm offenbar nahegelegt, mir aus dem Weg zu gehen, solange meine Aussagen überprüft wurden. Seit meiner Auseinandersetzung mit ihm in seinem Büro hatte ich ihn jedenfalls kaum zu Gesicht bekommen. Doch jetzt saß er mir im Konferenzraum gegenüber und starrte mich so ungeniert an, dass ich mich zunehmend unbehaglich fühlte.
Wir warteten schweigend, bis ungefähr zehn Minuten des Meetings verstrichen waren, dann räusperte er sich und sagte: »Schön, Genevieve, anscheinend sind wir heute allein.«
»Sieht ganz danach aus«, sagte ich.
»Und, was hast du zu berichten?«
Ich sah auf meinen Leistungsbericht, den ich mir vorsorglich ausgedruckt hatte, und schob ihn ihm hin. Ich hatte in diesem Monat ein Spitzenergebnis erzielt. Es hatte mich zwar fast umgebracht, doch mich hatte das Bedürfnis angespornt, endlich alles hinter mir zu lassen.
Er überflog ihn schnell und nickte dann. »Da kannst du mal sehen, wozu du in der Lage bist, wenn du dich anstrengst«, sagte er.
Ich schwieg. Ich wagte nicht zu sprechen.
»Hör zu«, sagte er, »ich glaube, du hast mich missverstanden.«
Ich sah ihn an und zog eine Augenbraue hoch. »Ach ja? Was soll ich denn missverstanden haben?«
»Ich wollte einfach mit dir schlafen.«
Ich hätte alles erwartet, nur nicht das. Ich muss ziemlich schockiert ausgesehen haben, mit hochrotem Kopf saß ich da.
Er lachte, als er sah, wie unbehaglich ich mich fühlte. »Bei deinem Job dürfte dich das nicht überraschen. Ich meine natürlich deinen Nachtjob.«
»Wenn die Besprechung jetzt zu Ende ist, würde ich gerne gehen und das zu Ende bringen, woran ich gerade gearbeitet habe.«
»Du arbeitest sehr viel, Genevieve.«
»Du weißt, dass du so etwas lieber nicht sagen solltest. Woher willst du wissen, dass ich diese Unterhaltung nicht aufzeichne?«
»Weil du nicht so schlau bist, wie du glaubst.«
Ich wurde langsam wütend und fragte mich, woher er wusste, wie er mich zur Weißglut bringen konnte. »Du bist ein Schwein.«
»Ja, vermutlich. Und, wirst du es tun?«
»Was denn? Mit dir vögeln? Du träumst wohl!«
»Nein, das meine ich nicht. Wirst du deine Anschuldigungen zurücknehmen?«
»Nein«, sagte ich. »Warum sollte ich? Wenn überhaupt, habe ich jetzt sogar einen weiteren Übergriff zu melden.«
»Ich glaube, du solltest deine Vorwürfe
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