wenn es Zeit ist
schon, weil ich viel zu faul bin, dort aufzuräumen. Es sind auch noch Kassenzettel vom letzten Jahr darin.
Natürlich sehe ich Michi regelmäßig, aber auch sie scheint zum Glück vergessen zu haben, dass ich etwas Besonderes bin.
Wir sitzen in meinem Zimmer auf dem Bett, haben nichts zu tun, außer herumzuhängen und gemeinsam in einer Frauenzeitschrift zu blättern, die sie aus dem Hotel mitgenommen hat. Sie lästert über die Schminktipps, und immer, wenn sie auf eine Reklameseite für Herrenkleidung oder auf irgendeinen männlichen Prominenten stößt, will sie mich überreden, so etwas anzuziehen. Fast ist es, als trüge sie wieder Motorradjacke und Jeans statt des Kostüms für den Hotelalltag.
»Der sieht Harald ähnlich«, sagt sie bei einem Foto.
»Wer ist Harald?«
Sie druckst ein bisschen, ihr Gesicht läuft leicht rot an und sie rutscht ein kleines Stück von mir weg.
»Der geht mit mir auf die Berufsschule. Du glaubst gar nicht, wie süß er ist.«
»Süß?« Ich erinnere mich noch daran, wie sie lästerte, wenn ihre Klassenkameradinnen auf der Realschule so über Jungen schwärmten. ›Männer sind nicht süß‹, hatte sie geschimpft. ›Das sind doch keine Hamster oder Meerschweinchen.‹
Michi haut mir auf die Schulter. »Ja, süß! Wenn er lächelt, dann muss man ihn einfach gern haben. Und für seine Grübchen in den Wangen fällt mir keine bessere Bezeichnung ein.« Es schießt noch etwas mehr Blut in ihr Gesicht. Sie dreht sich weg.
»Du bist verknallt?«
Michi nickt.
»Hey, cool«, sage ich. »Liebt er dich auch?« Nie hatte ich damit gerechnet, dass es einmal passieren könnte. Ich kenne Michi seit drei Jahren und zum ersten Mal, schwärmt sie von einem Jungen.
»Du könntest wenigstens so tun, als wärest du eifersüchtig.« Wieder haut sie mir auf die Schulter. »Ist es dir völlig egal, ob ich einen anderen habe?«
Ich stehe auf. »Nein. Ich freue mich für dich. Wie sieht er denn aus?«
»Ich könnte weniger Zeit für dich haben. Oder er könnte eifersüchtig auf dich sein. Kann ich ihm dann sagen, du seist schwul und er müsse sich keine Gedanken machen?«
Ich zucke zusammen und ich zucke mit den Schultern. Michi weiß alles von mir aber davon habe ich ihr ganz sicher nicht erzählt. Die Vorstellung, sie könnte weniger Zeit haben, ist genauso fern wie die, jemand könnte eifersüchtig auf mich sein. Es wird sich nichts ändern. Und, auch, wenn das resignativ und pessimistisch klingt, ich finde es gut, wenn sich nichts ändert. Ich liebe den ruhigen Strom des Lebens, hasse die sturmgepeitschte See.
» Es ist mir egal, was du Harald über mich erzählst.« Harald kenne ich nicht. Warum sollte mich also stören, was er über mich denkt oder weiß? »Liebt er dich denn auch?«
Demonstrativ schlägt Michi das Heft zu, schmeißt es vom Bett auf den Fußboden und schaut mich mit einem viel ernsteren Gesicht als eben noch an.
»Willst du deinen Vater eigentlich noch besuchen?«
Ich zucke mit den Schultern. Das hatte ich ganz vergessen.
»Du musst ihm erst schreiben, wenn du zu ihm möchtest, damit er dich auf eine Besucherliste setzt.«
»Du lenkst ab.« Wie kommt sie auf einmal darauf. Es war doch so schön, gar nicht mehr daran zu denken. »Es ist gar nicht mehr so wichtig für mich, ihn zu besuchen. Ist Harald auch in dich verliebt?«
» Hast du Angst, deine Mutter zu fragen oder Angst, ihm zu schreiben?«
» Du lenkst immer noch ab. Seid ihr zusammen, Harald und du?«
Sie legt die Arme um die Knie und nickt mit dem Kopf. »Aber das bringt gar keinen Spaß, wenn du nicht mal ein bisschen eifersüchtig bist.«
Ich grinse. Wäre Michi eifersüchtig auf Jan? Wie ist sie nur auf die bescheuerte Ausrede gekommen, ich sei schwul. Ich frage besser nicht nach, bevor sie neugierig wird.
In diesem wieder ruhigen August fragt Jan mich eines Tages in einer unserer typisch schweigsamen Pausen auf der Bank, ob ich am Samstag etwas vorhätte.
»Ich habe nie etwas vor.«
»Mein Vater kann am Samstag nicht mit mir ins Stadion, Dirk interessiert sich nicht für Fußball. Hast du nicht Lust, mit mir dorthin zu gehen?«
»Ich interessiere mich auch nicht für Fußball.«
»Schade.« Er schaut etwas betrübt auf die Fliesen zu seinen Füßen. »Mir hätte es gefallen, etwas mit dir zu unternehmen.«
»Ich wusste gar nicht, dass du dich dafür interessierst.« Die üblichen Sprüche über zweiundzwanzig Idioten lasse ich.
»Du weißt so wenig über mich, wie ich über dich.
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