Wenn Frauen kochen
Hannah.
»Ein bisschen angeschlagen, würde ich sagen. Oder einfach nur besessen. Sie hat nonstop über dich geredet.«
»Ich fand sie so weit ganz nett. Vielleicht ein bisschen langweilig. Aber sie hat drei Kinder. Irgendwie war sie schon süß.«
»Apropos Kinder … wie geht’s den Mädchen?«, fragte Hannah.
»Ach ja, richtig … Du hast zusammen mit dem Rest der
Truppe meine öffentliche Demütigung erlebt. Ich bin jetzt ganz offiziell eine schlechte Mutter.«
»Das ist nicht wahr, Gus. Ich meine, wie der Stand der Dinge ist.«
»Wir arbeiten daran«, antwortete Gus. »Es gab ernste Gespräche, bei denen einiges auf den Tisch kam. Aimee fühlt sich unter Druck gesetzt und Sabrina überbehütet. Oder so etwas in der Art.« In Wahrheit waren die Gespräche mit ihren Töchtern - es hatte ein weiteres am Sonntagabend gegeben - schrecklich ermüdend, und es war schwer, alles aufzunehmen, was die beiden mitzuteilen hatten. Gus fühlte sich schuldig und frustriert. Aber ihre Mädchen hatten so hoffnungsvoll gewirkt, als sie zusammen waren, als wäre Gus wie immer in der Lage, alles wieder in Ordnung zu bringen - selbst jetzt, als die beiden von ihr verlangten, sie endlich in ihr eigenes Leben zu entlassen. Manchmal war es schwer, alte Gewohnheiten abzulegen. Und manchmal gab es keine einfachen Antworten.
Gus brauchte wirklich einen Pressesprecher: Als sie vom Hotel nach Hause kam, wurde sie von einem nonstop klingelnden Telefon empfangen. Sämtliche Reporter erhofften sich eine Stellungnahme zu dem Geldbetrug. Gus hatte den Ton abgeschaltet und ignorierte das ständige Aufleuchten des Displays. Sie tat so, als wäre sie nicht zu Hause. Auch heute Morgen hatte sie sich nicht die Mühe gemacht, den Ton wieder einzuschalten. Stattdessen zog sie ein abgewetztes Paar Chinos und ein verwaschenes Jeanshemd an - ihre Gartenarbeitskleidung - und ging nach draußen. Sie wollte sich um ihre Rosen kümmern. Die hatten zwar Dornen, beschwerten sich aber nie, gaben keine Widerworte und stellten sie nicht in aller Öffentlichkeit zur Rede.
»Aber wie wird euch zumute sein, wenn ich mir den teuren
Rosendünger nicht mehr leisten kann?«, murmelte sie. »Werdet ihr mich auch dann noch lieben?« Sie trug eine Handvoll Rosen zum Becken in der Waschküche, um sie zurechtzuschneiden und sich die Hände zu waschen. Dann ging sie durch die Diele ins Esszimmer und suchte sich aus der Porzellanvitrine eine passende Vase aus. Damit verbrachte sie an diesem Nachmittag mehr Zeit als nötig. Aber es lenkte sie immerhin ab, und sie bemerkte, dass jedes Teil seine eigene Geschichte hatte. Sie hatte sich gerade für die Knospenvase aus geschliffenem Kristall entschieden, die ihrer Urgroßmutter gehört hatte, als es an der Haustür klingelte.
Gus schaute auf die Uhr an der Wand: Es war nach vier - für einen New Yorker mitten am Arbeitstag. Also konnte sie den größten Teil ihrer Freunde und Familienangehörigen als Möglichkeit ausschließen. Ihre Töchter würden nie klingeln, und Hannah kam grundsätzlich durch die Terrassentür ins Haus. Heute war nicht der Tag, an dem der Zeitungsjunge kassierte, und auch der Stromableser brauchte nicht ins Haus. Vermutlich also ein Journalist auf der Jagd nach einer Story, dachte Gus. Schon sonderbar, aber wenn sie einen dieser Zeitungsartikel las, hatte sie sich nie gefragt, ob die darin zitierten Leute den Reportern freiwillig alles erzählten oder man sie verfolgt und überredet hatte.
Ding dong! Ding dong! Ding dong! Gütiger Himmel, dachte Gus, sie war in ihrem eigenen Esszimmer gefangen. Sie versuchte, aus dem Fenster zu spähen, um zu sehen, wer vor der Tür stand, konnte jedoch nur eine große Gestalt erkennen. Als sich diese Gestalt in ihre Richtung drehte, ging sie sofort in Deckung. Oh mein Gott, jetzt verwandelte sie sich schon in Hannah. Einfach so. Kein Wunder, dass sich Hannah all die Jahre versteckt hatte: Dieses Gefühl, gejagt zu werden, war übermächtig.
»Gus? Bist du da?« Sie hörte eine gedämpfte Stimme. »Gus, ich bin’s, Oliver. Lass mich rein.«
Oliver. Sie verspürte eine Welle der Erleichterung, gefolgt von einer großen Dosis Verärgerung. Was hatte er mitten am Tag hier zu suchen?
»Hallo Oliver«, sagte sie und öffnete die Tür. »Ein geduldiger Mann klingelt aber nicht Sturm.«
»Irrtum«, antwortete er. »Er klingelt, bis die Tür aufgeht.«
»Was ist der Grund dieses Überraschungsbesuches?«
»Ich wollte schwimmen gehen«, sagte er.
Gus lief rot an.
Weitere Kostenlose Bücher