Wenn Frauen kochen
Tagen einige E-Mails geschrieben. Punkt für Punkt hatte sie präzise aufgelistet, warum eine Livesendung nicht das geeignete Format war, um Gus’ Talente zu präsentieren. Aber bisher hatte sich niemand vom CookingChannel die Zeit genommen, darauf zu antworten. Nicht dass Priya wirklich damit gerechnet hätte. Aber ein bisschen gehofft hatte sie es schon. Hoffen durfte man schließlich.
Stattdessen hatte Priya ihre Argumente am späten Abend ihrem Ehemann Raj dargelegt. Der tat manchmal so, als sei er wirklich interessiert, während er bei anderen Gelegenheiten
keinen Hehl daraus machte, dass er lieber schlafen gehen wollte. Sie wusste, dass sie es ihm eigentlich nicht übelnehmen sollte, aber das fiel ihr schwer. Im Unterschied zu Priya, die im Alter von zwei Jahren in die Vereinigten Staaten gezogen war, war Raj in Indien aufgewachsen und kam erst nach Amerika, nachdem er und Priya sich verlobt hatten. Natürlich hatten sie sich vorher kennengelernt, ihre Eltern waren in dieser Hinsicht äußerst rücksichtsvoll.
Die Ehe war Bedingung gewesen, um studieren zu dürfen. Davon abgesehen war Priya mehr als bereit gewesen, das Elternhaus zu verlassen. Damals schien es ihr ein fairer Handel zu sein. Ein vernünftiges Abkommen. Jetzt, fast zwanzig Jahre und drei Kinder später, wünschte Priya, die Zeit zurückdrehen zu können. Dann hätte sie sich anders entschieden und wäre einfach Jungfrau geblieben. Ihr ganzes Leben hätte sie im Haus ihrer Mutter verbracht und für den Rest ihres Lebens an der Rezeption des Days Inn Hotels, das ihre Familie im Norden Jerseys führte, die müden Reisenden angelächelt, die dort einkehrten.
»Lassen Sie mich nach Ihrer Reservierung sehen«, hätte sie gesagt und in dem klimatisierten Raum wie die Ruhe selbst gewirkt. »Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.« Die Gäste hätten sie angelächelt, ein Danke gemurmelt und die Schale mit den gewaschenen Äpfeln auf der Theke zu schätzen gewusst. Priya hatte ein Auge fürs Detail.
Leider verstand niemand, wie schwer es war, durchzuhalten.
Du solltest glücklich sein. Das sagte ihr Mann immer. Schau doch nur, in was für einem hübschen Haus du lebst. Weißt du eigentlich, was dieser Flachbildschirmfernseher kostet? Du solltest glücklich sein. Das sagte auch ihre Schwiegermutter, wenn sie zu Besuch kam und jedes Mal länger blieb. Ich hätte mir als Braut keine Hoffnung auf solchen Wohlstand machen
können. Du solltest deinen Ehemann besser behandeln. Du siehst zu viel fern. Du bist faul und nörglerisch. Wenn mein Sohn nicht so gutmütig wäre, hätte er dich schon vor Jahren eingetauscht.
Priya stellte sich gern ihr Foto auf einer Sammelkarte vor. Auf der Rückseite ständen Angaben zu ihrer Person. Größe: 1,64 Meter. Gewicht: MS (Meine Sache). Alter: MS. Hobbys: Obst einkochen, Marmelade kochen und Gus Simpson auf dem CookingChannel sehen (»Das sind nicht gerade indische Hobbys«, konnte sie die Sammler förmlich sagen hören, während sie den Tauschwert ihrer Karte gegen Lakshmis, Mayas und Indiras abwogen. »Das macht Priya zu einer besonders seltenen Sammelkarte. Ist sie dadurch mehr oder weniger wert?«). Zufriedenheitsgrad - das war Priyas Lieblingskategorie auf ihrer Sammelkarte -, Zufriedenheitsgrad: MS.
Sie liebte diese Formulierung. Genau das hatte sie zu ihrem Mann gesagt, als er sie fragte, was sie den lieben langen Tag über eigentlich tue. Sie hatte nämlich vergessen, zur Oak Tree Center Road in Iselin zu fahren, um Tomaten, Chilischoten und frischen Koriander zu besorgen. Um Methi - Bockshornklee - zu holen und Tortilla-ähnliche Thepla zuzubereiten. Raj liebte dieses Brot. Ihre Tochter im Teenageralter nicht. Auch nicht ihre beiden Söhne, von denen der jüngste gerade sechs war und sich darauf vorbereitete, ab Herbst auf die Ganztagsschule zu gehen.
Er liebte Makkaroni. Aus der Packung. Die kochte Priya oft, wenn sie allein zu Hause waren, und verpflichtete ihn zur Verschwiegenheit. Das könnte man auch auf ihre Tauschkarte setzen. Schlechte Angewohnheiten: Geheimnisse haben. Und sich zum Weinen im Bad verstecken.
»Du freust dich bestimmt, dass Kiran bald eingeschult wird«, sagte ihre Mutter, die häufig zu Besuch kam. »Dann
hast du endlich Zeit für all die Dinge, die du gern tun möchtest. Denk nur, wie sauber das Haus dann sein wird.«
MS, dachte Priya. Sie ließ im Geiste jeden Buchstaben auf der Zunge zergehen und lächelte. Laut stimmte sie ihrer Mutter jedoch zu und versicherte, wie
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