Wenn Frauen zu sehr lieben
Selbsthilfegruppe, und Sam brachte den Mut auf, ihr beizutreten.
Sams Eltern waren von dem Gedanken besessen gewesen, einen «keuschen, sauberen» Jungen aus ihm zu machen – wie sie es ausdrückten. Wenn er bei Tisch die Hände in den Schoß legte, wurde ihm befohlen, sie auf dem Tisch liegen zu lassen, «damit wir sehen können, was du machst». Wenn er sich zu lange im Badezimmer aufhielt, pochten sie an die Tür und riefen: «Was tust du denn da drin?» So ging es dauernd. Sie durchsuchten seine Schubladen nach Heftchen und seine Wäsche nach Flecken. Er entwickelte so große Angst vor sexuellen Gefühlen oder gar Erfahrungen, dass er schließlich überhaupt nicht mehr «konnte» – selbst wenn er wollte.
Durch die Arbeit in den Selbsthilfegruppen setzte bei uns beiden zwar eine positive Entwicklung ein. Aber gleichzeitig erschwerte diese Entwicklung unser Zusammenleben in vielerlei Hinsicht. Ich verspürte immer noch ein starkes Bedürfnis, Sams Sexualität unter Kontrolle zu halten (genau das, was seine Eltern getan hatten), weil es für mich zu bedrohlich war, wenn er sexuell die Initiative ergriff. Bei jeder spontanen Berührung von ihm zuckte ich zusammen oder drehte mich weg oder ging ein paar Schritte zurück und fing ein Gespräch mit ihm an oder tat sonst etwas, um seinen Annäherungsversuch buchstäblich ins Leere laufen zu lassen. Wenn ich im Bett lag, durfte er sich nicht über mich beugen – ich konnte es nicht ertragen. Es erinnerte zu sehr an das Verhalten meines Vaters. Sam hingegen musste die Verantwortung für seinen Körper und seine Gefühle selbst übernehmen, wenn er gesund werden wollte. Und ich musste damit aufhören, ihn zu kontrollieren; denn nur so würde er seine eigene Potenz erleben können. Meine Angst davor, überwältigt zu werden, stellte nach wie vor ein großes Problem dar. Aber ich lernte zu sagen: «Jetzt bekomme ich Angst», und dann fragte Sam mich: «Was möchtest du jetzt von mir?» Das reichte meistens aus – ich wusste dann, er würde meine Gefühle achten und mir zuhören.
Wir einigten uns darauf, abwechselnd die Verantwortung dafür zu übernehmen, was sich sexuell zwischen uns abspielte. Wenn wir etwas nicht mochten oder nicht tun wollten, konnte jeder von uns nein sagen, aber jeweils nur einer war im eigentlichen Sinne aktiv und übernahm die Führung in der sexuellen Begegnung. Dieses Konzept half uns sehr, denn es berücksichtigte unser beider Bedürfnis, sich für den eigenen Körper und das eigene sexuelle Verhalten verantwortlich zu fühlen. Wir lernten, einander zu vertrauen und daran zu glauben, dass wir körperlich Liebe geben und empfangen konnten. Auch unsere Gruppen unterstützten uns dabei. Die Probleme und selbst die Gefühle der verschiedenen Teilnehmer ähnelten sich sehr. Wir konnten uns daher realistische Erwartungen setzen und überprüfen, was wir gemeinsam erreicht hatten. Einmal trafen sich beide Gruppen. Wir verbrachten den ganzen Abend damit, über unsere persönlichen Reaktionen auf die Wörter
impotent
und
frigide
zu sprechen. Es gab Tränen, Gelächter und viel Verständnis füreinander. Auch das half uns allen, die Scham und den Schmerz zu überwinden.
Sam und ich lernten, offen zu sein und einander wirklich zu vertrauen. Und damit veränderte sich auch unsere sexuelle Beziehung. Mittlerweile haben wir zwei wunderbare Töchter und sind sehr glücklich. Für Sam bin ich weniger Mutter und sehr viel mehr Partnerin. Er ist aktiver und weiß sich besser zu behaupten. Früher hat Sam mich gebraucht, um seine Impotenz vor der Außenwelt zu verbergen, und ich ihn, um asexuell sein zu können. Heute fehlt uns selbst nichts mehr, und wir können uns aus freien Stücken füreinander entscheiden.
Ruths Geschichte veranschaulicht einen weiteren Aspekt von Verleugnung und Kontrollbedürfnis. Wie viele andere Frauen, die sich im Laufe der Zeit vollständig auf die Probleme ihrer Partner konzentrieren, wusste auch Ruth vor ihrer Heirat mit Sam ganz genau, welche Probleme er hatte. Deswegen überraschte es sie keineswegs, dass Geschlechtsverkehr zwischen ihnen nicht möglich war. Die Beziehung zu Sam gab ihr die für sie unbedingt notwendige Sicherheit, dass sie nie wieder die Kontrolle über ihre Sexualität verlieren würde. Sie konnte die Initiative ergreifen, die Kontrolle übernehmen, anstatt das Opfer zu sein. Nach ihrer Erfahrung gab es in der Sexualität nur diese beiden Rollen.
Auch dieses Paar hatte Glück; denn die Hilfe, die
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