Wenn Gottes Kinder schweigen - Livermore, C: Wenn Gottes Kinder schweigen - Hope Endures
kurzen Satz zu wiederholen, um zu innerer Ruhe zu finden. Es entsprach dem, was der Priester uns während unserer Klausur vor unserer Aufnahme als Novizinnen aus The Cloud of Unknowing gelehrt hatte.
Die Spiritualität des Kreuzes stand im Mittelpunkt von Mutters Weltsicht. Sie hatte sich die Worte des heiligen Paulus zu eigen gemacht: »Ich bin mit Christus gekreuzigt. Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir.« (Galater 2,19-20) Wir sollten jede Demütigung oder Schwierigkeit fröhlich als ein Mittel annehmen, »mit Christus ans Kreuz genagelt« zu werden und Seinen unendlichen Durst zu stillen. Mutter sprach von Abtötung - freiwillig etwas aufgeben, um die Sünde zu sühnen - als Angelpunkt ihrer Denkweise. Es war nicht einfach, sich bei Mutter über ein erlittenes Unrecht zu beklagen, weil sie der Ansicht war, dass man dieses annehmen solle: Bringe ein Opfer, packe die Chance, dich selbst zu erniedrigen, und beklage dich nicht. Das war ihre vorhersehbare Antwort auf jede Beschwerde.
Auch die Buße, eine Form der Selbstbestrafung für Sünden, hatte ihren Platz in der Satzung, und es kamen dabei verschiedene Praktiken zur Anwendung, wie sich auf die Schenkel schlagen - als Disziplinierung bezeichnet -, während des Morgengebets Ketten mit Stacheln um die Taille oder den Arm zu tragen und das Beten mit ausgestreckten Armen neben dem Bett am Abend. Dazu kam der Fastentag der Gemeinschaft am ersten Freitag im Monat, es gab auch öffentliche Buße wie etwa um eine Mahlzeit zu
betteln, Mahlzeiten kniend einzunehmen oder die Füße der anderen Schwestern zu küssen. War man etwa wütend geworden oder hatte etwas zerbrochen, musste man seine Fehler eingestehen und sich bei der Gemeinschaft entschuldigen. Diese Praktiken waren vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil bei vielen Orden üblich, seitdem aber fast überall verworfen worden. Mutter hielt diese Praktiken jedoch für wichtig und schrieb uns häufig, um uns zusätzliche Buße aufzuerlegen.
Mir war nicht klar, dass die unerschrockene Enthüllung meiner Gedanken, Wünsche und Motive während der Beichte oder in Gesprächen mit Schwester Regina mich für Kritik und Selbstzweifel noch verwundbarer machen würde. Es gab keinen Platz, um sich zu verstecken. Einige der spirituellen Praktiken, die wir gelehrt wurden, waren kontraproduktiv und führten dazu, uns stärker auf uns zu konzentrieren, anstatt uns unser Selbstgefühl zu nehmen. Man forderte uns auf, unsere Gedanken, Motive, Worte und Handlungen zu hinterfragen. Sokrates sagte: »Ein unerforschtes Leben ist es nicht wert, gelebt zu werden«, aber ich machte die Erfahrung, dass man es auch übertreiben kann. Selbst der heilige Ignatius, der dieses Muster der Selbsterforschung festgelegt hatte, war in einem Punkt seines Lebens so sehr von Skrupeln heimgesucht, dass es ihn fast in Verzweiflung stürzte. Diese Selbstbefragung ließ einen seine Motivation mit einer sonst gar nicht vorhandenen Besorgnis betrachten.
Die Isolation von Familie und Freunden, bissige Zurechtweisung im Öffentlichen wie im Privaten und die strenge Zensur von Lektüre schränkte mich in meinen Möglichkeiten
immer mehr ein. Mein Geist war eingesperrt in die undurchdringliche Gruft des konservativen Katholizismus. Aber ein anderer Lebensweg erschien mir nicht denkbar. Ich fühlte mich zum mitfühlenden Dienst an den Armen hingezogen, aber um diesen Dienst zu leisten, forderte die Gemeinschaft die totale Unterwerfung meines Lebens an den Gehorsam. Doch ich lernte erst langsam, zwischen Tat und Einstellung zu unterscheiden, und befand mich beinahe ständig in innerem Aufruhr, weil ich unsere Aufgabe verkannte. Schon früh in meinem Leben hatte ich erkannt, dass die Welt voller Konflikte war, dass es Graubereiche und Situationen gab, für die klare Antworten fehlten, aber bei den Missionarinnen der Nächstenliebe gab es eine Fassade falscher Einfachheit, die man als tugendhaft und »kindlich« hinstellte. Es war nicht notwendig, sich mit einem Problem oder einer Situation auseinanderzusetzen, ich brauchte nur zu gehorchen.
Eine Weile studierten wir am Assumption Institute in Melbourne einen Tag in der Woche mit Novizinnen von anderen religiösen Orden, die ganz eindeutig ein wesentlich liberaleres Leben führten. Wir MNs blieben unter uns, aßen gemeinsam als Gruppe und gingen dann in die Kapelle zum Mittagsgebet, während die anderen Novizinnen sich erholten und miteinander plauderten. Während ich die Bibel und
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