Wenn heiße Wuensche erwachen
erklärte Justin. „Wie Sie sehen können, ist das Gefälle dort sehr stark. Wir bitten Sie daher, sehr aufmerksam zu sein und sich von Ihrem Pferd führen zu lassen. Unsere Pferde sind mit dem Gelände vertraut und verfügen über einen ausgezeichneten Instinkt.”
Lyndie schenkte dem Diavortrag nicht allzu viel Aufmerksamkeit. Die Landschaft war wunderschön; der Pfad war vermutlich einer der besten, den sie bis jetzt entlanggeritten waren. Trotzdem wurde sie ein mulmiges Gefühl nicht los bei der Vorstellung, mit Bruce übernachten zu müssen.
„Wir sind ein wenig besorgt”, meldete sich Roger hinter ihr zu Wort. „Wir hörten, dass eine Frau auf einem der Pfade ums Leben gekommen ist.”
Justin verzog das Gesicht. Selbst Lyndie war froh, dass Bruce nicht in der Gruppe war, als Roger die Frage stellte.
„Die Frau kam ums Leben, weil sie nicht auf ihr Pferd gehört hat. Deshalb raten wir Ihnen ja auch, auf die Signale zu achten, die Ihnen Ihr Pferd gibt, denn dann werden Sie keine Probleme bekommen.” Ein nervöses Lächeln huschte über sein Gesicht. „Wie dem auch sei, wir werden nicht den Pfad entlangreiten, wo Katherine ums Leben kam, also besteht auch überhaupt kein Grund zur Sorge.”
„Ist das der Pfad, in den wir bei den Ausritten noch nie eingebogen sind?” wollte Kim wissen.
Justin nickte. „Ja, und er ist tabu. Jetzt kennen Sie auch den Grund dafür.”
Ein Gemurmel entstand in der kleinen Gruppe. Mehrere Rancharbeiter, die anwesend waren, um Fragen zu beantworten, warfen sich gegenseitig unbehagliche Blicke zu.
Lyndie vermutete, dass auch sie froh waren, dass Bruce nicht dabei war, denn es hätte ihn sicher verunsichert.
„Werden wir zu essen haben?” lenkte Kim vom Thema ab.
„Der Ausritt bedeutet nicht, dass Sie darben müssen”, meinte Justin und fuhr mit der Diashow fort. „Packpferde werden voranreiten mit der Ausrüstung und Proviant. Wenn Sie abends ankommen, wird Ihr Abendessen fertig sein, Ihr Zelt ist aufgestellt und Ihr Schlafsack ausgerollt.”
„Was, es gibt keinen Whirlpool für die vom Reiten müden Knochen?” scherzte Annette.
Justin lachte. „Wir tun unser Bestes, Ma’am. Einen Whirlpool können wir Ihnen nicht bieten, aber dafür Kaffee, der so stark ist, dass der Löffel darin steht, und ein großes Stück Zeltplane. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, dass jemand von uns warmes Wasser über Sie gießt, können Sie sogar duschen.”
„Du meine Güte”, hauchte Annette.
„Das macht sie ganz bestimmt nicht”, verkündete Roger und legte Besitz ergreifend den Arm um seine mollige Frau.
Diesmal stimmte sogar Lyndie in das Gelächter ein. Doch ihr Lachen erstarb sofort, als ihr Blick auf Bruce fiel, der unbemerkt den Raum betreten hatte. Er sah Lyndie an, als gebe es nach wie vor unausgesprochene Dinge zwischen ihnen.
„Heute Vormittag ist Freizeit”, erklärte er. „Lyndies Großtante, Hazel McCallum, war so freundlich, uns ihre Ranch für eine Tour zu öffnen. Wer an einer Führung Interesse hat, wendet sich bitte an Justin.”
Damit war die Diashow beendet.
Während die Gruppe mit Justin zur Lazy-M-Ranch ging, beschloss Lyndie zurückzubleiben. Im Lauf der Jahre hatte sie von der Ranch genug gesehen. Außerdem war sie nicht in der Stimmung, Hazel zu begegnen, zumal noch ein klärendes Gespräch zwischen ihnen ausstand.
Frustriert darüber, dass sie nicht ohne Begleitung mit Girlie ausreiten konnte, beschloss sie, sich zu Fuß auf den Weg zu machen.
Sie zog sich ihre Wanderstiefel an und nahm den üblichen Weg in die Berge. Sie ging mehrere Kilometer, bis sie an eine Weggabelung kam. Zu Fuß sah die Landschaft ganz anders aus als vom Rücken eines Pferdes. Eine von Zitterpappeln gesäumte Lichtung kam ihr bekannt vor, und an deren Ende teilte sich der Pfad.
Zu Fuß konnte sie viel vorsichtiger sein als zu Pferd, deshalb war es bestimmt nicht so gefährlich, ihn zu erkunden. Schließlich brauchte sie sich dabei nicht auf das Pferd zu konzentrieren.
Ihre Füße schienen ihr die Entscheidung abzunehmen. Sie stieg den steil ansteigenden Pfad hinauf, bis die Weggabelung irgendwann außer Sicht war.
Irgendetwas zog sie geradezu zwanghaft an den Ort, an dem Katherine gestorben war. Sie wollte sehen, wohin Bruce ritt, wenn er allein sein wollte, daher kletterte sie immer weiter.
Mit jedem Schritt wurde die Aussicht atemberaubender.
Endlich verbreiterte sich der Pfad. Es gab einen Felsvorsprung, von dem man einen Ausblick auf die blauen Gipfel der
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