Wenn Ich Bleibe
funktionieren wird. Kim geht es offenbar ähnlich.
»Denkst du nicht, dass die Schwester dich erkennen wird?«, fragt Kim. »Immerhin hast du sie angebrüllt.«
»Sie wird mich nicht erkennen, wenn sie mich nicht sieht. Jetzt verstehe ich langsam, warum du und Mia so dicke Freundinnen seid. Ihr seid beide so richtige Schwarzseher.«
Adam kennt Mrs Schein nicht und hat auch nicht erlebt, wie Kim hier im Krankenhaus mit ihrer Mutter umgesprungen ist, und so weiß er nicht, dass der Vorwurf, Kim sei eine Pessimistin, ungeahnte Folgen haben kann. Kim runzelt die Stirn und will etwas sagen, aber dann lässt sie die Sache auf sich beruhen. »Vielleicht
würde dein dämlicher Plan besser funktionieren, wenn wir etwas sehen könnten.« Sie kramt in ihrer Tasche herum und zieht ihr Handy heraus. Ihre Mutter hat es ihr geschenkt, als Kim zehn Jahre alt war, und besteht seitdem darauf, dass sie es immer bei sich hat. Kindesüberwachung, nennt es Kim. Sie schaltet es ein. Ein kleines Viereck aus Licht weicht die Dunkelheit auf.
»Ja, das ist schon eher das kluge Mädchen, von dem Mia immer erzählt«, sagt Adam. Er schaltet sein eigenes Handy ein, und jetzt ist der Raum von einem schwachen Lichtschein erhellt.
Unglücklicherweise enthüllt das Licht, dass sie sich in einer Besenkammer befinden, in der zwar ein paar Wischmopps und ein Eimer stehen, aber nichts, womit man sich verkleiden könnte. Wenn ich könnte, würde ich ihnen sagen, dass es in dem Krankenhaus Spinde gibt, in denen die Ärzte und Pfleger ihre Straßenkleidung aufbewahren und nach Dienstschluss wieder ihre Kittel aufhängen. Die einzigen Kleidungsstücke, die frei zugänglich sind, sind diese peinlichen Schürzen, die die Patienten tragen müssen. Adam könnte sich eine solche Schürze anziehen und in einem Rollstuhl durch die Gänge fahren, aber das würde ihn auch nicht weiterbringen.
»Scheiße«, sagt Adam.
»Wir können es weiter versuchen«, sagt Kim jetzt ermutigend. »Es gibt hier ungefähr zehn Stockwerke.
Ich bin sicher, dass wir noch andere Türen finden, die nicht abgeschlossen sind.«
Adam rutscht an der Wand zu Boden. »Nein. Du hast recht. Wir müssen uns etwas Besseres ausdenken.«
»Du könntest so tun, als hättest du eine Überdosis Drogen genommen. Dann müssten sie dich auf die Intensivstation legen«, schlägt Kim vor.
»Wir sind hier in Portland. Wenn du eine Überdosis genommen hast, musst du Glück haben, wenn du überhaupt in die Notaufnahme kommst«, erwidert Adam. »Nein, ich dachte eher an eine Art Ablenkungsmanöver. Du weißt schon, wie zum Beispiel den Feueralarm auslösen, sodass alle Krankenschwestern aus dem Haus laufen.«
»Glaubst du wirklich, dass Sprinkleranlagen und panische Krankenschwestern das Richtige für Mia sind?«, fragt Kim.
»Nun, nicht direkt, aber es müsste etwas sein, das sie nur einen Moment lang ablenkt, damit ich mich hineinschleichen kann.«
»Sie werden es sofort merken. Und dann werden sie dich richtig hinauswerfen.«
»Das ist mir egal«, gab Adam zurück. »Ich brauche nur einen Augenblick mit ihr allein.«
»Warum? Ich meine, was kannst du in dieser kurzen Zeit ausrichten?«
Adam schweigt einen Moment lang. Seine Augen, die normalerweise in einer wilden Mischung aus Grau,
Braun und Grün schimmern, sind dunkel geworden. »Sie soll wissen, dass ich hier bin. Dass jemand immer noch hier ist.«
Danach stellt Kim keine Fragen mehr. Sie sitzen schweigend da, jeder verloren in den eigenen Gedanken, und ich muss daran denken, wie Adam und ich oft zusammen waren, schweigend und ohne einander zu berühren, aber trotzdem zusammen. Da wird mir klar, dass sie jetzt Freunde sind, echte Freunde. Egal, was geschieht, das jedenfalls habe ich erreicht.
Nach etwa fünf Minuten schlägt sich Adam mit der flachen Hand an die Stirn. »Natürlich!«, ruft er.
»Was?«
»Es ist Zeit für das Batman-Signal.«
»Hä?«
»Komm mit. Ich zeig’s dir.«
Als ich mit dem Cellospielen anfing, war mein Vater immer noch Schlagzeuger in seiner Band. Erst ein paar Jahre später, als Teddy geboren wurde, war damit Schluss. Aber schon damals merkte ich, dass meine Art, Musik zu machen, völlig anders war als die meiner Eltern, und das hatte nichts mit der offensichtlichen Verblüffung meiner Eltern über meine Vorliebe für klassische Musik zu tun. Meine Musik war einsam. Mein Vater hämmerte zwar manchmal stundenlang allein auf seinem Schlagzeug herum oder saß am Küchentisch und schrieb Songs, wobei er die
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