Wenn Ich Bleibe
geworden, dass Willow versucht, Adam den Weg zu mir zu ebnen. Hätte ich aufgepasst, könnte ich noch irgendwie entwischen, ehe Willows Versuch – wie immer – von Erfolg gekrönt sein wird.
Ich will ihn jetzt nicht sehen. Ich meine, natürlich will ich. Ich will es so sehr, dass es schmerzt. Aber wenn ich ihn sehe, werde ich den letzten Hauch des Friedens verlieren, den mir Gramps schenkte, als er mir sagte, dass ich gehen dürfte. Ich versuche, allen Mut zusammenzunehmen für das, was ich tun muss. Und Adam wird die Dinge komplizieren. Ich will aufstehen und weggehen, aber seit der letzten Operation ist etwas passiert. Ich habe nicht mehr die Kraft, mich zu bewegen.
Ich muss mir Mühe geben, um überhaupt aufrecht sitzen zu können. Ich kann nicht weglaufen; alles, was ich tun kann, ist, mich zu verstecken. Ich ziehe die Knie an die Brust und schließe meine Augen.
Ich höre Schwester Ramirez mit Willow reden. »Ich werde ihn zu ihr bringen«, sagt sie, und ausnahmsweise schickt die mürrische Oberschwester sie nicht wieder zu ihren eigenen Patienten.
»Das war ziemlich dämlich, was du da vorhin abgezogen hast«, höre ich Schwester Ramirez zu Adam sagen.
»Ich weiß«, antwortet Adam. Seine Stimme ist ein kehliges Flüstern, wie nach einem besonders kreischintensiven Konzert. »Ich war verzweifelt.«
»Nein, du warst romantisch«, sagte sie.
»Ich war ein Idiot. Sie sagen, dass es ihr vorher besser ging. Dass sie von dem Beatmungsgerät weg war. Dass sie stärker wurde. Aber nachdem ich hier war, ging es ihr wieder schlechter. Sie sagen, dass ihr Herz auf dem Operationstisch aussetzte …« Adams Stimme verstummt.
»Und sie haben sie wiederbelebt. Sie hatte ein Loch in der Gallenblase, durch das Flüssigkeit in den Magen ausgetreten ist, und das hat ihre Organe durcheinandergebracht. So etwas passiert hier ständig, und es hatte nichts mit dir zu tun. Wir haben es repariert, und das ist es, was zählt.«
»Aber es ging ihr besser«, flüstert Adam. Er hört sich
so jung an, so verletzlich, wie Teddy, wenn er Bauchweh hat. »Und dann bin ich gekommen, und sie wäre beinahe gestorben.« Seine Stimme verzerrt sich zu einem Schluchzen. Das Geräusch fährt durch mich hindurch, als hätte man mir einen Kübel Eiswasser über den Kopf gegossen. Adam glaubt, dass er dafür verantwortlich sei? Nein! Das ist lächerlicher als lächerlich. Er irrt sich gewaltig.
»Und ich wäre beinahe in Puerto Rico geblieben und hätte einen fetten Mistkerl geheiratet«, fährt ihn die Schwester an. »Aber ich hab’s nicht getan. Und jetzt führe ich ein anderes Leben. Beinahe zählt nicht. Du musst mit dem zurechtkommen, was jetzt ist. Und sie ist immer noch da.« Sie zieht einen Vorhang um mein Bett. »Rein mit dir«, sagt sie zu Adam.
Ich zwinge mich, den Kopf zu heben und meine Augen zu öffnen. Adam. Mein Gott, sogar in diesem Zustand ist er wunderschön. Seine Augen sind ganz klein vor Müdigkeit. Seine Bartstoppeln würden mir beim Küssen vermutlich die Haut aufscheuern. Er trägt seine typische Band-Kluft: T-Shirt, hautenge Hosen und Basketballschuhe von Converse. Er hat sich Gramps’ karierten Schal um die Schultern gelegt.
Als er mich sieht, erbleicht er, als ob ich ein Monster aus der Tiefsee wäre. Ich sehe auch ziemlich schlimm aus, angeschlossen an das Beatmungsgerät und ein Dutzend anderer Schläuche. Durch den Verband der letzten Operation sickert Blut. Aber nach einem Moment
lässt Adam hörbar den angehaltenen Atem entweichen – und dann ist er einfach wieder Adam. Er sucht mit den Augen, als hätte er etwas fallen gelassen, und dann findet er, wonach er Ausschau gehalten hat: meine Hand.
»Herrje, Mia, deine Hand ist ja ein Eiszapfen.« Er setzt sich, umfasst meine rechte Hand mit seinen Händen, vorsichtig, damit er nicht gegen die Kabel und Schläuche stößt, und dann legt er seinen Mund an die Höhle, die er mit den Händen bildet, bläst warme Luft hinein. »Du und deine Hände.« Adam ist jedes Mal wieder erstaunt darüber, dass meine Hände selbst mitten im Sommer, selbst nach der schweißtreibendsten Aktivität, kalt bleiben. Ich behaupte immer, das liege an einer schlechten Durchblutung, aber Adam glaubt nicht daran, weil meine Füße normalerweise warm sind. Er meint, ich habe bionische Hände, und das sei auch der Grund, warum ich so eine gute Cellistin sei.
Ich schaue zu, wie er meine Hände wärmt, so wie er es schon tausendmal getan hat. Ich denke an das erste Mal, als wir vor der
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