Wenn Ich Bleibe
verlassen würde. Meine Mutter sagte ihm, er solle es nicht ihr zuliebe tun. Sie meinte, es sei in Ordnung, wenn er weiterspielen würde, solange er nicht monatelang auf Tournee ging und sie mit zwei Kindern allein ließ. Mein Vater erwiderte, sie solle sich keine Sorgen machen. Er würde die Band nicht ihretwegen aufgeben.
Seine Kameraden nahmen die Entscheidung gefasst auf, nur Henry war am Boden zerstört. Er versuchte, meinem Vater die Sache auszureden. Versprach, dass sie nur noch in der näheren Umgebung auftreten würden. Dass sie nicht mehr auf Tournee gehen würden. Niemals über Nacht weg sein würden. »Wir können auch in Anzügen spielen, wenn du willst. Dann sehen wir aus wie das Rat Pack. Wir können Sinatra-Songs spielen. Alles, was du willst, Mann«, flehte Henry.
Als mein Vater unnachgiebig blieb, hatten er und Henry einen entsetzlichen Streit. Henry raste vor Wut, weil mein Vater die Band einfach so im Stich ließ, obwohl meine Mutter gesagt hatte, dass sie nichts dagegen hätte, wenn er weitermachen würde. Mein Vater sagte zu Henry, dass es ihm leidtäte, dass er aber seine Entscheidung getroffen hätte. In der Zwischenzeit hatte er schon die Anmeldeformulare für seine Lehrerausbildung
ausgefüllt. Er wollte Kinder unterrichten. Schluss mit der Herumhängerei. »Eines Tages wirst du mich verstehen«, sagte mein Vater zu Henry.
»Den Teufel werde ich«, schoss Henry zurück.
Henry sprach monatelang kein Wort mit meinem Vater. Willow kam von Zeit zu Zeit vorbei und versuchte, Frieden zu stiften. Sie erklärte meinem Vater, dass Henry gerade ein paar Dinge ins Reine bringen musste. »Gib ihm ein bisschen Zeit«, sagte sie, und mein Vater tat so, als würde ihm die ganze Sache nichts ausmachen. Aber in Wahrheit war er gekränkt. Dann tranken Willow und meine Mutter in der Küche Kaffee und wechselten wissende Blicke, die zu sagen schienen: Männer sind solche Kinder!
Henry tauchte schließlich wieder auf, aber er entschuldigte sich nicht bei meinem Vater, jedenfalls nicht gleich. Jahre später, kurz nachdem seine Tochter geboren wurde, rief Henry eines Abends bei uns an. »Ich hab’s kapiert«, sagte er unter Tränen zu meinem Vater.
Merkwürdigerweise schien sich Gramps über die Metamorphose meines Vaters genauso aufzuregen wie Henry. Man hätte meinen sollen, dass er glücklich über seinen neuen Sohn gewesen wäre. Oberflächlich betrachtet gehören er und meine Großmutter zu einer anderen Zeit, als ob sie in einem Vakuum leben würden. Sie haben keinen Computer und auch kein Kabelfernsehen, und sie fluchen auch nie. Ihnen haftet etwas an, das einen
dazu bringt, stets höflich zu sein. Meine Mutter, die fluchen konnte wie ein Gefängniswärter, benahm sich wie eine Sonntagsschülerin in Gegenwart meiner Großeltern. Irgendwie will niemand die beiden enttäuschen.
Meine Großmutter amüsierte sich über die Transformation meines Vaters. »Wenn ich gewusst hätte, dass dieses Zeug wieder in Mode kommt, hätte ich Gramps’ alte Anzüge aufgehoben«, sagte sie eines Sonntagnachmittags, als wir zum Mittagessen kamen und mein Vater seinen Trenchcoat auszog, unter dem er ein paar graue Hosen aus Schurwolle und eine spießige Strickjacke trug.
»Es ist nicht wieder in Mode gekommen. Punk ist wieder in Mode, und daher glaube ich, dass dein Sohn einfach wieder nur gegen den Strom schwimmen und rebellieren will«, grinste meine Mutter. »Wer ist ein Rebell? Ist dein Daddy ein Rebell?«, plapperte meine Mutter mit Teddy, der entzückt gluckste.
»Er sieht jedenfalls adrett aus«, sagte meine Großmutter. »Findest du nicht auch?«, fragte sie, zu Gramps gewandt.
Gramps zuckte mit den Schultern. »Er sieht immer gut aus. Alle meine Kinder und Enkel sehen gut aus.« Aber seine Miene wirkte gequält.
Später an diesem Nachmittag ging ich mit Gramps nach draußen, um gemeinsam mit ihm Feuerholz zu
holen. Er musste noch ein paar Scheite spalten, und so schaute ich ihm zu, wie er die Axt in einen Klotz trockenen Holunderholzes hieb.
»Gramps, gefallen dir Dads neue Klamotten nicht?«, fragte ich ihn.
Gramps hielt mitten in der Bewegung inne, die Axt über dem Kopf erhoben. Dann legte er sie vorsichtig neben mir auf die Bank, auf der ich saß. »Seine Kleider gefallen mir schon, Mia«, sagte er.
»Aber du hast so traurig ausgesehen, als Gran darüber sprach.«
Gramps schüttelte den Kopf. »Dir entgeht wohl gar nichts, was? Auch wenn du erst zehn Jahre alt bist.«
»Das war nicht zu
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