Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn ich dich gefunden habe

Wenn ich dich gefunden habe

Titel: Wenn ich dich gefunden habe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ciara Geraghty
Vom Netzwerk:
mein Lebtag lang – dann würde ich darauf wetten, dass ich bald abtrete. Ich habe weiß Gott oft genug aufs falsche Pferd gesetzt, aber diesmal bin ich mir sicher.
    Das Schlimmste am Warten ist, dass man so viel Zeit hat. Zeit zum Nachdenken. Es bringt zwar nichts, etwas zu bereuen, aber man tut es trotzdem. Weil man Zeit hat. Viel Zeit. Also erscheinen sie, die reuevollen Gedanken, wie ungebetene Gäste auf einer Party.
    Ich schätze, die Frage, die man sich stellen muss, um sie
abzuwehren, lautet: Würde ich etwas anders machen, wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte? Die Antwort lautet vermutlich: Nein. Ziemlich sicher sogar. Ich hatte einmal die Chance, den rechten Weg zu gehen, mich zu ändern. Sie war da, diese Chance. Ich konnte es spüren. Konnte die Möglichkeiten erahnen und die Wärme, die von ihnen ausging. Doch dann ist so einiges passiert – was allein meine Schuld war – und ich habe den Möglichkeiten den Rücken gekehrt. Es war besser so. Ich hatte noch nie ein Talent dafür, irgendwo zu bleiben. So sind manche Menschen eben.
    Ich sehe aus dem Fenster.
    Eine mattschwarze Telefonleitung durchschneidet den winterweißen Himmel. Es könnte aber auch schon Frühling sein. Neulich wehte der intensive Duft von Flieder durchs Fenster und erinnerte mich an den kleinen Garten hinter dem Pub. Von dem Fliederbusch, der dort stand, hat meine Mutter jedes Jahr im April dicke Blütentrauben abgeschnitten und dazu mit ihrer lieblichen, unmelodischen Stimme We’ll gather lilacs in the spring again gesungen. Jeden Frühling. Ich erinnere mich an den Duft. Ein kräftiger, süßer Duft. Der Duft nach Frühling.



38
    Dara Flood und Ian Harte gehörten nicht zu den Paaren, die viel telefonierten. Sie schickten einander SMS-Nachrichten, was Dara ganz recht war, weil sie sich tendenziell jedes Mal Sorgen machte, wenn das Telefon klingelte.
    Dara hatte gerade den Kartoffelbrei auf ihrem Shepherd’s Pie mit einem Hauch Cayennepfeffer verfeinert und die Auflaufform ins Rohr geschoben, da kam eine SMS von Ian.
    »Reise nach Lyon abgesagt. Treffen uns am Donnerstagabend im The Back Door. Muss mal wieder dein süßes Gesicht sehen, Cherie. Ian xxxx«
    Dara legte das Handy behutsam auf der Fensterbank ab und begann das Geschirr in die Spülmaschine zu räumen. Konnte sie so tun, als hätte sie die SMS nicht gelesen? Nein. Ian beschwerte sich oft darüber, dass sie während ihrer Verabredungen stets mit einem Auge auf ihr Handy schielte.
    Sie zog ihn Erwägung, ihm eine knappe Antwort nach dem Motto »Da kann ich leider nicht. Hoffe, wir sehen uns am Samstag?« zu schicken.
    Nein, unmöglich. Es wäre das erste Mal, dass sie ihm eine Absage erteilte. Er würde den Grund dafür wissen wollen.
    Sie machte Kaffee und setzte sich an den Küchentisch, beide Hände um die Tasse geschmiegt. Der Fleischduft des Auflaufs im Backrohr wirkte tröstlich, aber nicht tröstlich
genug, um sie das Handy vergessen zu lassen, das auf der Fensterbank vor sich hin schmollte.
    Es war beileibe nicht so, als hätte sie Ian die Reise nach Paris bewusst verschwiegen. Ganz und gar nicht. Sie hatte ja noch nicht einmal einen gültigen Pass, und es war möglich, dass sie den neuen nicht rechtzeitig bekommen würde. Es wäre nicht das erste Mal, dass Miss Pettigrew ihren Einfluss bei »denen da oben«, wie sie es nannte, überschätzte.
    Außerdem konnte jeden Tag das Krankenhaus anrufen, und in diesem Fall müsste sie gar nicht mehr nach Paris. Was hatte es für einen Sinn, Ian von einer Reise zu erzählen, die sie womöglich gar nicht antrat?
    Aber wie es aussah, musste es jetzt wohl doch sein. Und obwohl Ian ein vielgereister Mann war und nie müde wurde, ihr von den Städten zu erzählen, die er schon besucht hatte (»Venedig? Stinkt und wimmelt von Taschendieben.«) und den Sehenswürdigkeiten, die er besichtigt hatte (»Der Schiefe Turm von Pisa? Im Grunde ein Bauwerk mit einem gravierenden Schönheitsfehler.«), hatte Dara das Gefühl, dass Ian die Neuigkeit von ihrer Reise nach Paris nicht gerade erfreut aufnehmen würde. Vielleicht, weil es so kurzfristig war. Sie gehörte nicht zu den Leuten, die bei jeder Gelegenheit in irgendwelche europäischen Hauptstädte jettete. In den letzten Jahren war sie überhaupt nicht mehr verreist. Und dann war da noch die Tatsache, dass Stanley Flinter sie begleiten würde. Sie hatte keine Ahnung, was Ian davon halten würde, wenngleich es eine rein geschäftliche Angelegenheit war. Er konnte etwas

Weitere Kostenlose Bücher