Wenn ich dich gefunden habe
Dass dieser Zustand nur vorübergehend war. Inzwischen war sie sich nicht mehr so sicher.
Zwei Stunden später kämpfte sie auf ihrem Fahrrad gegen Wind und Wetter an. Natürlich hätte sie Angel bitten können, ihr das Auto zu borgen, aber sie fuhr nicht gern im Regen Auto.
Ian hatte nicht auf ihre betont fröhliche, vor Ausrufezeichen strotzende SMS reagiert.
Das The Back Door lag ziemlich weit ab vom Schuss und gehörte nicht zu den Pubs, die Dara normalerweise frequentiert hätte. Es befand sich zwischen einem Wettbüro und einem Waschsalon in einer schmalen Straße, die von der Hauptverkehrsachse durch Fairview abging. In seinem düsteren Inneren gab es eine Menge Durchgänge, die nirgendwohin führten, und überall roch es leicht nach Männertoilette. Dara hasste es, wenn sie vor Ian dort eintraf und versuchte, es zu vermeiden, ohne zu spät zu kommen.
Was Pünktlichkeit anging, war Ian nämlich pingelig. Der Pub war voll mit alten Männern, die genauso viel Zeit hier zu verbringen schienen wie im Wettbüro nebenan, dafür aber offenbar nie einen Fuß in den Waschsalon auf der anderen Seite setzten, zumindest den speckig glänzenden Schulterpartien ihrer uralten Sakkos nach zu urteilen. Die weibliche Kundschaft verdoppelte sich, wann immer Dara das Lokal betrat. Die einzige andere Frau, die hier je anzutreffen war, gehörte quasi zum Inventar – jedenfalls war sie immer da, wenn Dara kam. Sie lehnte sich in ihrem tief ausgeschnittenen Oberteil über die Bar, sodass ihre Brüste praktisch auf den Tresen herausquollen, was vermutlich erklärte, warum der Barkeeper häufig so verwirrt war, dass er Dara ein Miller vom Fass gab, statt der bestellten Flasche mit dem extra Glas.
Die Frau begann zu singen, wie so oft. Ein langsamer, klagender Song über einen feschen Soldaten, der in den Krieg zog, und eine Frau, die zu Hause blieb und auf ihn wartete. Sie sang mit kehliger Stimme und einer unangezündeten Zigarette im Mundwinkel ihrer signalrot geschminkten Lippen. Als Ian endlich eintraf, war sie gerade am makaberen, unglücklichen Ende des Liedes angelangt – der Soldat kehrt nach Hause zurück und stellt fest, dass sich sein Liebchen vom Dachboden der väterlichen Scheune gestürzt hat, nachdem man ihr zugetragen hatte, er sei in der Schlacht gefallen. Dabei war er gar nicht gestorben, sondern nur schwer verwundet worden.
»Entschuldige die Verspätung, Dara«, sagte Ian, als er an ihren üblichen Tisch trat, und daran erkannte sie sogleich, dass er sauer war. Je besser gelaunt er war – und er war meistens gut aufgelegt –, desto blumiger drückte er sich aus. Normalerweise hätte er sich für sein Zuspätkommen
mit einer Formulierung à la »Tut mir aufrichtig leid, dass du warten musstest, meine Liebe. Kannst du einem alten Esel wie mir noch einmal verzeihen?« entschuldigt.
Er kam offenbar direkt aus dem Büro, denn er trug einen dunklen, steifen Dreiteiler. Aus den Sakkoärmeln blitzten herzförmige, silberne Manschettenknöpfe hervor. Die musste ihm seine Mutter gekauft haben, so etwas würde sich ein Mann wohl kaum selbst zulegen. Statt sich wie sonst neben sie zu setzen, ließ er sich mit einem erschöpften Seufzer auf dem Stuhl gegenüber von ihr nieder.
»Hör zu, Ian …«
»Du hast nicht zufällig bereits für mich bestellt, Darling?« , unterbrach Ian sie mit einem vielsagenden Blick auf den Tisch zwischen ihnen, auf dem Daras Bierflasche stand, deren Etikett bereits abgerissen und zerfleddert war.
»Äh, nein, ich …« Ian trank einen kompliziert zubereiteten Spezial-Gin-Tonic, und er mochte es normalerweise nicht, wenn man für ihn bestellte, weil er gern persönlich überwachte, dass seine Anforderungen erfüllt wurden.
»Kein Problem, ich gehe selbst«, sagte er mit einem Lächeln, das so angespannt war wie ein Einzelbett-Spannleintuch auf einem Doppelbett.
Er war eine ganze Weile weg. Der Barkeeper, der sonst hier arbeitete, war heute nicht da, und Dara hörte, wie Ian den Ersatzmann darüber aufklärte, dass Limetten nicht »im Grunde dasselbe wie Zitronen, nur eben grün« waren.
Als Ian schließlich zum Tisch zurückkehrte, haftete ihm eine Aura der Enttäuschung an wie ein muffiger Geruch. Dara schielte auf sein Glas – drei Eiswürfel und weit und breit keine Limette. Sie beugte sich nach vorn und lächelte.
»Also, Ian …«, sagte sie.
Doch Ian testete nun mit einer Hand, ob der Tisch gerade stand und machte sich auf die Suche nach einem Bierdeckel, um ihn unter
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