Wenn ich dich gefunden habe
Sissy.
»Ach, es geht. Der übliche Stress … Ähm, ist Stanley da?«
Stanley versuchte soeben vergeblich, sich mit Geschirrspülmittel den Kartoffelgeruch von den Händen zu waschen. Er trocknete sich hastig ab und schnupperte an seinen Fingern. Sie rochen noch immer leicht nach Kartoffeln, aber es war zu spät, etwas dagegen zu unternehmen. Cora
kam herein. Sie sah müde aus. Schön wie eh und je, aber müde. Und sie trug viel mehr Make-up als sonst, fand er.
»Hallo Cora«, sagte er und ließ vor Aufregung die Gabel fallen, die er in der Hand hielt. Er trat einen Schritt nach vorn, um … Tja, was? Ihr die Hand zu schütteln? Ihr einen Kuss auf die Wange zu geben? Oder sollte er ihr brüderlich die Schulter tätscheln? Es sollte einen Verhaltenskodex für Zusammenkünfte mit der Exfreundin geben, die zugleich die künftige Schwägerin war … Das Problem trat jäh in den Hintergrund, als Stanley einen stechenden Schmerz in der rechten Fußsohle verspürte. Er sah nach unten. Die Zinken der Gabel hatten sich in das weiche Fleisch am Ansatz seiner großen Zehe gebohrt. Er schaffte es, einen lauten Aufschrei zu unterdrücken, gab aber einen erstickten Klagelaut von sich, als er die Gabel aus seinem Fuß zog. Sofort quollen vier hellrote Bluttropfen aus den Wunden, die in einer geraden Linie und in gleichmäßigem Abstand nebeneinander lagen. Es war ein Anblick, den er vermutlich durchaus eine Weile bewundert hätte, wenn es nicht so weh getan hätte. Immerhin hatte er auf diese Weise das Begrüßungsproblem umgangen, und das war dann wohl die Schmerzen wert.
»Stanley! Ist alles okay?« Cora beugte sich vornüber, um den Schaden zu begutachten, und Stanley hoffte inständig, dass der Abstand ausreichen möge, falls seinem Fuß etwaige unangenehme Gerüche anhaften sollten. Schließlich war er den ganzen Tag in Socken und Turnschuhen eingesperrt gewesen, während Stanley Teresa Traynor auf ihrer Tour vom Schönheitssalon durch mehrere Boutiquen und Restaurants gefolgt war, bis ihm schließlich auf der Driving Range des Golfplatzes das beweiskräftige Foto gelungen war. Er versuchte, den Schmerz in seinem Fuß zu
ignorieren, als er ein paar Schritte nach hinten wich, um sich an den Kühlschrank zu lehnen, wobei er lauter kleine rote Pünktchen auf den weißen Bodenfliesen hinterließ.
»Ja, ja, alles bestens, wie geht es dir?« Stanley hatte die Erfahrung gemacht, dass es am einfachsten war, die Aufmerksamkeit von sich auf andere zu lenken, indem man sie dazu brachte, über sich selbst zu reden. Jeder redet gern über sich selbst, und Cora bildete da keine Ausnahme. Im Gegenteil: Die Regel hätte nach ihr benannt sein sollen.
»Mir? Na ja, geht so. Cormac hat die gesamte Organisation der Verlobungsparty auf mich abgewälzt, obwohl ich mich nicht nur um seine Bedürfnisse, sondern auch noch um ein Kleinkind kümmern muss.«
»Wo ist Klein Cora denn?«, wollte Sissy wissen, die eben in die Küche kam, und verschränkte die Arme vor der Brust. Den warnenden Blick, den ihr Stanley zuwarf, ignorierte sie geflissentlich.
»Bei ihrer Großmutter. Brenda hat darauf bestanden, auf Cora aufzupassen, während ich ein paar Besorgungen mache.«
»Und wie können wir dir dabei behilflich sein?«, fragte Sissy spitz.
»Ich … Ich glaube, ich habe neulich meinen Schal hier vergessen. Habt ihr in zufällig gefunden?«
Sissy warf Stanley einen triumphierenden »Hab-ich’s-nicht-gesagt?« -Blick zu, ehe sie in den Flur marschierte.
»Er ist in der Kommode im Flur, in der untersten Schublade«, rief Stanley ihr nach.
»Oh«, sagte Sissy, als sie die Schublade aufzog. »Du hast ihn zusammengefaltet.« Sie kam zurück in die Küche und bedachte Stanley mit einem enttäuschten Blick, ehe sie Cora den Schal reichte. »Den kannst du bestimmt
gut gebrauchen – dir muss ja ganz schön kalt sein in diesem Aufzug.«
Cora sah an sich hinunter und zuckte die Achseln. Erst jetzt fiel Stanley auf, dass sie einen sehr kurzen Rock trug, in dem ihre langen, schlanken Beine perfekt zur Geltung kamen, und dazu ein tief ausgeschnittenes Top, dessen Saum bei jeder ihrer Bewegungen den Blick auf ihre schmale, gebräunte Taille freigab. Der Stoff schmiegte sich eng an ihre Rippen und ihren flachen Bauch, der keinerlei Spuren der Schwangerschaft aufwies, und der weite Halsausschnitt war über die Schultern gerutscht, sodass die perfekten Schlüsselbeine zu sehen waren, die sich unter ihrer weichen Haut abzeichneten und einen Anblick von
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