Wenn ich dich umarme, hab keine Angst: Die wahre Geschichte von Franco und Andrea Antonello erzählt von Fulvio Ervas (German Edition)
wenn andrea menschen nicht anfasst sehe ich verwirrung und k. o. für andrea der sich aufregt
Kannst du den Leuten denn nicht an die Schulter fassen statt an den Bauch?
mir gefällt bauch
Verstehst du, dass es sie stört, oder nicht?
verstehst du dass ich mich nicht kontrollieren kann?
Du musst es immer wieder versuchen.
ich versuche jeden tag mich zu kontrollieren
Erzähl mir, wie du das machst.
ich muss vieles in ordnung bringen und warte bis ich es nicht mehr aushalte und es mir schlecht geht. ich halte länger durch und werde besser
Andre, brauchst du etwas?
andrea braucht hilfe. kopf verwirrt fühle mich schlecht
Hilfe wobei?
meinen autismus zu heilen. ich habe es satt so zu leben.
Ich weiß, Andre, ich weiß.
Siga me
Wir fahren ins Reich der Apostel: Die zwölf am Atitlán-See gelegenen Dörfchen sind nach ihnen benannt. Es soll dort wunderschön sein.
Das Wetter ist fürchterlich, und das Navi lässt uns schamlos im Stich. Wir verfahren uns mehrmals.
Schließlich landen wir in einer ärmlichen, heruntergekommenen Gegend, baufällige Hütten entlang der Straße, zerlumpte Kinder und eine brutale Schlägerei. Vor unseren Augen wird ein armer Kerl zu Boden gestoßen und getreten. Etwas beunruhigt fragen wir nach dem Weg. Die Menschen sind freundlich, trotz gut sichtbarer Machete im Gürtel, und bemühen sich, uns in diesem angeblich gesegneten Land weiterzuhelfen. Wir folgen ihren Angaben, ohne uns von Erdrutschen und Felsblöcken am Straßenrand entmutigen zu lassen. Was mag bloß passiert sein? Die Hälfte des Gebiets sieht aus, als hätte hier ein wild gewordener Riese gewütet, die andere Hälfte taucht gelegentlich zwischen Kurven, Nebel und Regen auf und verschwindet wieder.
»Andre«, entschlüpft es mir, »das hier ist kein Spaziergang.«
»Spaziergang schön.« Doch auch er sieht sich forschend um.
Zum Glück fahren wir ziemlich langsam, zum Glück landen wir nicht im Abgrund. Wenige Meter vor der gähnenden Leere komme ich mit einer Vollbremsung zum Stehen. Ich reiße die Augen auf: Das gibt es doch nicht! Die Brücke vor uns ist eingestürzt. Warnschilder null. Vielleicht lauern hier größere Gefahren. Vielleicht ist diese eingestürzte Brücke nur der Anfang. Ein wenig Angst kriecht in mir hoch: Wo sind wir hier?
Ich schätze, der See ist nicht mehr weit, etwa fünfzig Kilometer. Wir steigen aus dem Auto und starren auf das unüberwindliche Hindernis. Andrea wirft einen Stein. »Halt«, sage ich zu ihm, mir ist, als hörte ich einen Motor. Ein Jeep kommt angebraust. Ich hebe die Arme, um ihn auf die Gefahr hinzuweisen. Er verlangsamt keineswegs. Du lieber Schreck. Ein Irrer! Ein Selbstmörder! »Geh zur Seite, Andrea.« Reifen quietschen, abrupt hält der Jeep an, und ein mageres Männchen streckt misstrauisch den Kopf heraus. Er mustert uns lange, bevor er fragt:
»Qué pasa?«
»Señor, wir haben uns verirrt. Hier geht es nicht weiter. Wie kommt man nach Atitlán?«
Der Typ in dem Jeep lacht belustigt – was diese Touristen doch für Angsthasen sind! – und antwortet spöttisch: »Siga me, siga me.« Wir sollen ihm folgen? Trauen wir uns das? Welche Alternativen haben wir? Ich sehe Andrea an, und wir folgen ihm. Er biegt in ein Schottersträßchen ein, das unter der Brücke durch führt. Ohne weiter auf uns zu achten, fährt er direkt und ziemlich schnell auf das Wasser zu. Donnerwetter, denke ich, der will nicht allein Selbstmord begehen, der sucht Gesellschaft. Wo will er hin?
Ich sehe, wie er sich bedenklich entfernt – wenn er uns abhängt, sind wir wieder in der Patsche. Also weiter! Der Typ fährt in den Fluss hinein, ich halte den Atem an und erwarte das Schlimmste. Mit schreckgeweiteten Augen, den Fuß auf der Bremse, nähere ich mich dem Wasser. Entgegen meinen Vermutungen ist es ist nicht tief – der verrückte Fahrer erreicht schon das andere Ufer.
»Andre, was jetzt? Eins, zwei, drei – los!« Wir stürzen uns hinein, ich hole tief Atem und versuche, den Fluss an der gleichen Stelle zu durchqueren wie der Jeep. Drüben halte ich neben dem Mann und sehe, dass er zufrieden lacht. Mistkerl, denke ich, aber er hat uns gerettet und begleitet uns bis ans Ziel: Ende gut, alles gut.
An den Ufern des Atitlán-Sees erkennt man nach und nach die Dörfer. Üppiges Elend bis nach Santiago Atitlán. Graue Hütten im strömenden Regen, Ufer und Landungsstege sind überschwemmt. Andrea kann nicht widerstehen und watet barfuß hinter einer kleinen Gruppe Frauen her, die einen
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