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Wenn ich einen Wunsch frei haette

Titel: Wenn ich einen Wunsch frei haette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Ellis
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noch schlechter, und ich habe noch mehr Angst und schäme mich noch mehr.
    Wir haben gerade Ausgangssperre, also ist es ohnehin egal, wann ich schlafe. Wir dürfen nicht aus dem Haus gehen, also kann ich schlafen, wann ich will. Mir ist es egal, ob Ausgangssperre ist, weil ich nicht gern zur Schule gehe, und während einer Ausgangssperre fällt die Schule aus. Mir macht das Lernen keinen Spaß und meine Hausaufgaben mache ich auch nicht gern. Wozu denn auch? Die Israelis lassen uns ja doch nichts mit unserer Schulausbildung anfangen. Warum soll ich mir da überhaupt Mühe geben, was zu lernen?
    Blöd finde ich bloß, dass ich während der Ausgangssperre meine Freundinnen nicht besuchen und nicht wie |127| ein normales Kind leben kann. Aber wenn wir aus dem Haus gehen, schießen die Soldaten auf uns. Wenn ich mich mit meinen Freundinnen treffe, machen wir gar nichts Besonderes. Wir sind einfach nur gern zusammen. Ich mag nicht mehr mit meinen Geschwistern im Haus eingesperrt sein.
    Hier sind ständig Soldaten. Sie mögen uns nicht. Ich habe gesehen, was sie machen. Sie sind überall. Sie werfen Gasbomben, schießen auf Kinder, zerstören Häuser, verhaften Leute und zwingen sie, ganz lange mit verbundenen Augen auf dem Boden zu sitzen. Dann stehen die Soldaten über ihnen, lachen und machen alles, damit es ihnen noch schlechter geht.
    Natürlich haben die Soldaten mir auch schon wehgetan. Sie haben jedem wehgetan, den ich kenne. Ich kenne eine Menge Kinder, die kleiner sind als ich, die sie verletzt oder umgebracht haben. Ich habe sogar schon gesehen, wie Soldaten auf einen Krankenwagen geschossen haben. Denen ist das doch egal. Die wollen uns doch bloß alle umbringen.
    Man muss gar nichts Böses tun, um von den Soldaten verletzt zu werden. Es reicht, einfach nur die Straße entlangzugehen. Einmal, als gerade keine Ausgangssperre war, bin ich mit meinen Freundinnen ein Stück die Straße runtergelaufen. Da standen ein paar Jungs in der Nähe, und die Israelis haben auf einen von ihnen geschossen. Wir haben ihn alle zusammen zum Straßenrand getragen. Er ist nicht gestorben. Er war bloß angeschossen worden.
    Als ich vom Tod meiner Schwester erfuhr, stand ich gerade |128| in der Küche und habe gebacken. Sie kam nicht zum Abendessen. Wir warteten alle mit dem Essen auf sie. Meine Eltern sahen fern, und dann kam es in den Nachrichten. Sie hat mir nicht erzählt, was sie vorhatte. Wir haben uns ein Zimmer geteilt, aber sie hat es mir nicht erzählt. Ich habe geweint und geweint.
    An diesem Abend ist die Armee zu uns nach Hause gekommen. Die Soldaten haben Sachen kaputt gemacht und rumgebrüllt. Sie haben unsere Tür zertrümmert. Sarah, eine von den Frauen aus dem Ausland, war hier bei uns. Sie hat die Soldaten angeschrieen, dass sie aufhören sollen, aber sie haben nicht auf sie gehört. Sie haben sie geschlagen, als wäre sie auch eine Palästinenserin. Sie haben meinen Bruder verhaftet. Er sitzt immer noch im Gefängnis, obwohl er nichts getan hat. Aber das ist denen egal.
    Wir mussten alle rausgehen. Sie haben uns auf den Boden geworfen. Und dann haben sie meine älteren Brüder mitgenommen. Wir mussten viel Geld bezahlen, um wenigstens ein paar von ihnen wieder freizubekommen.
    Ich habe mir ein Zimmer mit Aayat geteilt. Sie war ordentlich, genau wie ich. Eine von meinen Schwestern ist nicht ordentlich, und ich bin froh, dass ich mir nicht mit ihr das Zimmer teilen muss. Aayat und ich haben uns vertragen, wie ganz normale Kinder sich eben vertragen. Manchmal haben wir uns gestritten. Einmal hat sie meine Schuhe angezogen, ohne mich vorher zu fragen. Da war ich wütend auf sie.
    Sie hat viel gelernt. Sie war besser in der Schule als ich. Sie hat mich immer dazu angehalten, mehr zu lernen, aber |129| ich habe das nie eingesehen. Und ich hatte recht. Das Lernen hat Ayat nichts genützt.
    Sie hat mir nicht gesagt, was sie vorhatte. Sie hätte es mir sagen sollen. Ich hätte ihr Geheimnis für mich behalten, wenn sie es gewollt hätte. Ich hätte gern mit ihr darüber geredet, und vielleicht hätte ich ihr an diesem Tag ein tolles Frühstück oder irgendetwas anderes Besonderes für sie gemacht. Sie hätte es mir erzählen sollen. Aber niemand von uns wusste Bescheid. Sie war fast fertig mit der Schule und stand kurz vor ihrer Hochzeit, die sie einfach weiter geplant hat, als wäre alles wie immer. Ihr Verlobter ist jetzt viel hier bei uns. Er ist dauernd traurig.
    Ich möchte nicht, dass Sie ein Foto von mir machen.

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