Wenn Liebe die Antwort ist, wie lautet die Frage? - Lilias Tagebuch
soll er denn deiner Meinung nach das Konzept ändern?«, wollte Maiken wissen. Sie nahm Tom den Stift aus der Hand und malte hinter die beiden Fragezeichen ein drittes.
»Na, ist doch klar.« Erst jetzt fiel mir auf, dass Tom ziemlich blass war und dunkle Ringe unter den Augen hatte. Klar, er hatte die Maki-Mail am späten Abend entdeckt und heute Vormittag hatte er schon für alles eine Lösung parat. Bestimmt hatte er die halbe Nacht recherchiert und gegrübelt. Und jetzt präsentierte er uns das Ergebnis. »Die Minimallösung wäre: Es bleibt beim Spendenlauf, aber wir spenden das Geld mit dem Einverständnis von Herrn Makel an einen wirklich guten Zweck. Und dann reparieren wir die Tische in der Cafeteria selbst. Das wäre ein Kompromiss. Und die Optimallösung: Der Lauf fälltaus, die ganze Schule organisiert stattdessen eine sinnvolle Aktion, bei der wir mit richtiger Arbeit Geld verdienen. Und das wird dann gespendet. Wir könnten zum Beispiel überall in der Stadt Müll sammeln oder draußen mitten in der Natur ein Biotop pflegen oder irgendetwas herstellen, basteln, backen oder so, und es dann verkaufen. Oder wie wäre ein Bücherflohmarkt?«
»Boah, das willst du bis Montag stemmen?« Fabi war beeindruckt.
»Okay, für dieses Jahr ist es wohl zu spät, das muss man lange vorher organisieren. Aber fürs nächste Jahr könnte der Maki das doch jetzt schon mal ankündigen.«
»Du meinst …«, überlegte Felix laut, aber Tom unterbrach ihn.
»Ich meine: Es wäre für alle besser, wenn es nicht zum offenen Konflikt mit dem Maki käme. Wir sollten gemeinsam eine Lösung finden. Das wäre für uns besser, aber auch für den Maki und für die ganze Schule.«
»Klingt gut.« Felix nahm Maiken den Stift aus der Hand, streifte dabei ein bisschen ihre Hand und malte ein Ausrufungszeichen hinter die Fragezeichen. »Nur – wie kommen wir mit Herrn Makel ins Gespräch? Der bügelt uns doch wieder unter, wenn wir einfach so zu ihm ins Rektorat marschieren.«
»Wisst ihr was? Ich schreibe ihm einfach eine Mail. Dann kann er sich unsere Argumente in Ruhe durchlesen«, schlug ich vor. »Und dann soll er uns für morgen einen Gesprächstermin geben. Er ist dann vorbereitet und das ist besser, als wenn wir ihn überraschen und ihm die Pistole auf die Brust setzen. Da schaltet er doch nur auf stur.«
»Okay«, nickte Maiken. »Und was machen wir mit unseren Facebook-Fans? Die warten doch auf Infos wegen Montag.«
»Wir sagen ihnen einfach, wie es ist«, mischte Vicky sich vom Nebentisch aus in die Diskussion ein. »Ich übernehme das. Ich schreibe, dass wir ein Gespräch mit dem Maki planen. Und dass sie mit den Vorbereitungen auf den Boykott noch warten sollen.«
»Super!«, sagte Maiken und klatschte in die Hände. »Dann machen wir das so.«
Das hätte sie mal besser gelassen.
»Ihr seid fertig?«, fragte Frau Güntsch, die plötzlich an unserem Tisch stand. »Dann lasst mal hören: Für welchen Dichter habt ihr euch entschieden, Maiken?«
»Ähm, ich glaube, ja, also, Rilke.« Maiken stotterte. Frau Güntsch hatte sie eiskalt erwischt.
»Ah, schön. Und welches Gedicht?« Ich hätte Maiken gerne da rausgehauen, aber ich kannte kein Gedicht von Rilke.
»Ein weißes Schloss in weißer Einsamkeit«, sagte Maiken.
»Das steht nicht im Buch, oder?« Frau Güntsch nahm sich Toms Exemplar und schlug das Register auf.
»Nein«, sagte Maiken. »Das steht da nicht drin. Das können wir auswendig.«
»Oh, wirklich? Ihr alle? Na, dann lasst mal hören.«
Wir wurden ganz still. Da hatte Maiken uns was eingebrockt! Aber sie ließ sich keine Unsicherheit anmerken.
»Ein weißes Schloss in weißer Einsamkeit«, sagte sie leise. »In blanken Sälen schleichen leise Schauer. Todkrank krallt das Gerank sich an die Mauer, und alle Wege weltwärts sind verschneit.« Bei den letzten Worten kam sie ins Stocken und überlegte.
Und dann war da plötzlich Felix. »Darüber hängt der Himmel brach und breit. Es blinkt das Schloss. Und längs den weißenWänden hilft sich die Sehnsucht fort mit irren Händen. Die Uhren stehn im Schloss: Es starb die Zeit.«
Als er geendet hatte, waren wir alle still. Aus den unterschiedlichsten Gründen. Frau Güntsch wirkte beeindruckt. Maiken und Felix sahen aus, als hätte man sie bei etwas ertappt. Und wir anderen überlegten, was das denn jetzt gewesen war. Aber wir wagten es nicht, Maiken oder Felix danach zu fragen.
»Sehr schön«, sagte Frau Güntsch nach einer langen Pause.
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