Wenn Liebe die Antwort ist, wie lautet die Frage? - Lilias Tagebuch
Schon gut! Reg dich ab.« Ich dachte, die Rosine wäre vielleicht wegen irgendetwas schlecht drauf. Aber kaum wandte ich mich ab, sang sie schonwieder. »Beiß mich nicht und kratz mich nicht, du mieser kleiner Wicht!«, schmetterte sie laut, falsch und äußerst vergnügt.
»Paaaps«, jammerte ich. »Sag ihr, dass sie aufhören soll.«
Statt einer Antwort schepperten in der Küche Töpfe und wir hörten Paps fluchen. Er sagte Wörter, die man vor Kindern nicht sagen sollte.
»Was ist denn mit dem los?«, fragte ich leise.
»Och, der macht Milch warm.«
»Aber warum so laut?«
»Weiß nicht.« Die Rosine zuckte mit den Schultern. »Ich habe ihm von der Schule erzählt und seitdem ist er so.«
»Was genau hast du ihm denn erzählt?«
»Wir machen jetzt ein Win-win-Training!« Rosalie wuchs sichtbar um ein paar Millimeter, als sie das sagte. Auf dem Pflaster, das ihr Schielauge verklebte, waren heute rosa Herzchen. Paps hatte ihr Zöpfe geflochten, die zwar nicht ganz symmetrisch waren, aber sehr niedlich aussahen.
»Und wie geht das Training?«, fragte ich.
Sie riss wieder die rechte Hand hoch und brüllte: » ICH WILL DAS NICHT !«
Ich zuckte zusammen.
Rosalie grinste. »Klappt prima, oder? Das ist unser Stopp-Zeichen, wir haben es in der Schule gelernt. Wenn wir das machen, muss der andere aufhören mit Ärgern. Das Hau-mich-nicht-Lied haben wir auch neu gelernt.«
»Aha. Und warum heißt das Win-win-Training?«
»Weil wir dabei lernen, wie man so streitet, dass keiner verliert, sondern beide gewinnen. Win-win ist Englisch und heißt, beide gewinnen, verstehst du?«
»Toll. Ist da noch ein Platz frei?«
»Willst du mitmachen?«
»Nee, ich nicht, aber ich hätte da einen schwer erziehbaren Schulleiter, der das auch noch nicht kann.«
»Ich kann ja mal unsere Lehrerin fragen.«
»Nee, Rosalie, lass mal, das war ein Witz. Aber sag mal, warum ist Paps deswegen sauer?«
»Vielleicht wegen dem Brief, den unsere Lehrerin an die Eltern geschrieben hat?« Die Rosine hielt mir einen Zettel hin. »Liebe Eltern«, stand darauf. »Nachdem ich in der letzten Woche feststellen musste, dass einige unserer Schülerinnen und Schüler nur wenig Konfliktlösungskompetenzen besitzen und die Eltern sich davon überfordert fühlen, nimmt die Klasse 1 c jetzt an einem sogenannten Win-win-Training teil.«
»Aha. Verstehe«, murmelte ich. »Konfliktlösungskompetenzen. Paps glaubt, dass die Lehrerin ihn meint.«
Die Rosine grinste. »Ich glaub’s auch«, flüsterte sie.
»Du, mal ehrlich: ich auch.« Wir kicherten. In der Küche fiel ein Topfdeckel scheppernd zu Boden.
»Sag mal, Rosalie, was müsst ihr deswegen in der Schule trainieren?« Ich hatte das Win-win-Prinzip noch nicht ganz kapiert. »Jetzt hebt ihr alle immer die Hand und brüllt, dass ihr irgendwas nicht wollt, wenn es Streit gibt?«
»Na klar.«
»Und? Funktioniert es? Lässt Moritz dich dann in Ruhe?«
»Nö. Er brüllt dann zurück: ICH WILL ABER !«
»Und was machst du dann?«
»Ich schreie: ABER ICH NICHT ! Und immer so weiter.«
»Ooookay. Und wo sind da die beiden Gewinner?«
»Na, es hat immerhin keiner verloren«, meinte Rosalie achselzuckend.
Als wir endlich alle am Frühstückstisch saßen, sang die Rosine schon wieder dieses Lied.
»Rosalie, würdest du bitte eine Pause einlegen? Ich möchte mit Lilia reden.« Paps klang immer noch angespannt.
Rosalie sang weiter.
»Kind, ich möchte mit deiner Schwester ein ernstes Gespräch führen, könntest du bitte still sein?«
Rosalie sang etwas leiser, aber nicht viel.
Da stand Paps auf, schnappte sich seine Jüngste und klemmte sie sich unter den Arm.
» ICH WILL DAS NICHT !«, brüllte die Rosine, doch das half ihr jetzt nichts mehr.
»Du bleibst in deinem Zimmer, bis ich dich rufe!«, hörte ich Paps auf der Treppe schnauben.
»Ahahahaber mein Frühühüstück«, heulte Rosalie laut auf.
Wenig später stürmte Paps ins Wohnzimmer, ergriff Rosalies Müslischale und ihren Milchbecher und trug beides die Treppe hoch.
»So«, sagte er, als er sich wieder auf seinen Stuhl fallen ließ. »Und jetzt zu dir.« Das klang nicht gut. Ich hatte damit gerechnet, dass er mit mir über Rosalies Lehrerin reden wollte, und war schon ganz in Ratgeberinnenstimmung. Aber dafür war das die falsche Gesprächseinleitung.
Und tatsächlich, plötzlich polterte Paps los. Warum ich ihm nichts von dem Spendenmarathon erzählt habe. Ob ich ihm nicht vertrauen würde? Warum ich das nicht am Sonntag, als
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