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Wenn nicht jetzt, wann dann?

Titel: Wenn nicht jetzt, wann dann? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Ruppert
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eines freundschaftlichen Miteinanders der beiden Familien sein könnten. Diese Hochzeitsplanerin hatte allerdings tatsächlich sehr kompetent geklungen. Er hatte den Eindruck, sie wusste genau, worauf es ankam. Doch er würde seinem Motto treu bleiben, an das er sich bei all seinen wichtigen geschäftlichen Entscheidungen immer gehalten hatte: Man musste sich einmal tief in die Augen sehen, dabei auf die innere Stimme hören und sich nicht von Wunschdenken fehlleiten lassen. Erst dann konnte man Entscheidungen treffen. Schließlich war Ninas Hochzeit eine wichtige Angelegenheit, und sie benötigten jemanden, der auf all das achtete, auf was man in seinen Kreisen eben zu achten hatte, und dabei doch gleichzeitig Ninas ganz persönliches Hochzeitsfest gestaltete. So wie eine Mutter das machen würde. So wie Evelyn es sicher wunderbar gemacht hätte.
    Wie oft hatte er an Evelyns Stelle entscheiden müssen. Und wie oft hatte er gehofft, dass er alles richtig machte. Vor zwanzig Jahren war ein alleinerziehender Vater eine noch größere Sensation gewesen als heute. Heute begegnete man dem Thema auf Schritt und Tritt, ja es gab gar Selbsthilfegruppen und Organisationen, die dem Vater anscheinend dabei halfen, einer zu sein. Überhaupt schien es plötzlich irgendwie »in« zu sein, sich »Vater« zu nennen und als solcher zu leben. Aber wenn er tagsüber am Spielplatz oder an Schultoren vorbeifuhr, dann sah er dort doch insgesamt wenige Exemplare dieser Spezies. Er sah vor allem Mütter.
    Für ihn hatte es damals weder Ratgeber noch Vorbilder gegeben. Es war nicht leicht für ihn gewesen, Nina allein großzuziehen. Natürlich hatte ihm eine ganze Armada mehr oder weniger kompetenter Kindermädchen und Haushaltshilfen dabei zur Seite gestanden. Doch es gab Entscheidungen, die er alleine treffen musste, ob er sich ihnen nun gewachsen fühlte oder nicht. Welche Schule Nina besuchen sollte; ob sie eine feste oder eine herausnehmbare Zahnspange tragen sollte; ob es gut war, sie für ein Jahr ins Ausland gehen zu lassen, oder ob sie nicht vielleicht doch lieber zu Hause in seiner Nähe bleiben sollte, was sie dann auch tat; wann man den ersten Frauenarztbesuch einplanen müsste und wie man mit dem ersten ernsthaften Freund der einzigen Tochter höflich umzugehen hatte, obwohl man ihn am liebsten am Kragen packen und ihm einen Satz ins Gesicht knurren würde, der mit »Jetzt hörst du mir mal gut zu, Freundchen …« begann. Wann immer es um Entscheidungen dieser Größenordnung ging, war er auf sich alleine gestellt. In all diesen Momenten, und nicht nur in diesen, weiß Gott, nicht nur in diesen, hatte er seine Frau schmerzlich vermisst. Evelyn war sehr plötzlich und viel zu früh gestorben. Viel zu früh. Da war Nina erst vier gewesen, und auf all ihre Fragen, wo denn die Mama sei, hatte er nur immer wieder hilflos wiederholen können, sie sei im Himmel. Und da sei es schön. Aber warum er dann so weinen müsse und warum alle so traurig wären, wenn sie es im Himmel doch schön hatte, und warum man jemanden in der Erde vergraben müsse, wenn er doch in den Himmel käme, das alles konnte er ihr nicht erklären. Er war heilfroh, dass sie irgendwann einfach aufgehört hatte nachzufragen, und von sich aus hatte er das Thema nie wieder angesprochen.
    Heute dachte er manchmal darüber nach, ob er vielleicht mehr mit ihr hätte reden müssen. Aber gerade Ninas naive Fragen hatten das Gefühl verstärkt, das seit Evelyns Tod in ihm vorherrschte. Er glaubte nicht mehr an Worte. Sprache, so wie er damit umzugehen gelernt hatte, versagte ihm den Dienst.
    Evelyn ist tot.
    Mama ist im Himmel.
    Evelyn kommt nie mehr wieder.
    Das waren aneinandergereihte Worte, deren Bedeutung irgendwie stimmte, die aber noch nicht einmal einen Bruchteil dessen enthielten, was in ihm tobte. Weder ein »nie mehr« noch ein »nie wieder« vermochten auszudrücken, wie es sich in ihm anfühlte. Er hatte befürchtet zu verstummen. Wenn Nina auf seinem Schoß saß und ihm Fragen stellte, dann hatte er keine Antworten für sie.
    Letztlich hatte er keine Ahnung, wie Nina das alles damals erlebt und was für Erinnerungen sie an diese Zeit überhaupt hatte. Irgendwie hoffte er, sie hätte alles vergessen. Sie war doch noch so klein gewesen. Viel zu klein, um plötzlich keine Mutter mehr zu haben.
    Claus Winter war einundsechzig, und er freute sich, dass Nina sich ausgerechnet in seinen besten Goldschmied verliebt hatte. Fabian war ein netter junger Mann,

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