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Wenn nur noch Asche bleibt

Wenn nur noch Asche bleibt

Titel: Wenn nur noch Asche bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauss
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Gewalt des Meeres war in ihm, sein Körper vibrierte im Rhythmus einer uralten Macht. Die Lichter kamen näher. Bittersüße Euphorie überwältigte ihn. Er hörte sein grimmiges Lachen wie von fern. Wellen hoben ihn hoch und ließen ihn wieder fallen, Salzwasser brannte in Augen und Kehle.
    Als er den Boden unter seinen Füßen spürte, war jeder Muskel ein einziger Krampf. Er ließ sich von einer Welle nach vorn schleudern, spürte, wie sein Körper über Sand rollte, und entzog sich dem Ziehen des Wassers mit mehreren Drehungen, bis er in salzigem Schaum gebettet auf dem Rücken liegen blieb.
    Triumph. Überwältigung. Zorn.
    Sein keuchender Atem wurde vom Rauschen der Elemente verschluckt. Entrückt starrte er in den schwarzen Himmel, während er begriff, dass er seinen Körper bis an die äußerste Grenze getrieben hatte und dem Tod niemals so nahe gewesen war. Vielleicht hatten ihn nur Sekunden von Mary getrennt. Sekunden …
    Er schloss die Augen, grub seine Finger in den nassen Sand und atmete, als täte er es zum ersten Mal. Jede Nuance des Schmerzes vereinte sich zu einer Sinfonie des Lebens. Zu einem sich aufschaukelnden Rausch der Empfindungen.
    Als er die Augen wieder öffnete, glich die Realität einem Traum. Und so starrte er das verschwommene Gesicht, das sich über ihn beugte, in aller Ruhe an. Es war hübsch. Rund, beinahe kindlich. Umkränzt von einer Mähne schwarzen, verwuschelten Haares.
    „Hi“, sagte dieses Gesicht. „Wie geht’s?“

    Darauf hätte sie nichts und niemand vorbereiten können.
    Wie aus Schaum geboren lag er vor ihr. Nackt, umspielt von Gischt. Hätte Elena sich die körperliche Gestalt eines Meeresgottes ausmalen müssen, so wäre dieses Geschöpf dabei herausgesprungen. Ein kindlicher Teil in ihr wünschte sich, Schuppen auf seiner Haut glänzen zu sehen. Sie sah Schwimmhäute zwischen Zehen und Fingern und Seetang in seinem Haar. Es hätte wunderbar gepasst. Ein magisches Wesen konnte kaum surrealer sein als dieser Mann.
    „Hi, wie geht’s?“
    Daniel starrte sie mit wenig göttlicher Miene an. Zuerst musterte er ihr Gesicht, dann ihre Kleidung. Im Department kannte man Elena als makellose Erscheinung im Anzug, doch jetzt, da sie eine alte Bluejeans und ein schlichtes, grüngrau gestreiftes Leinenhemd trug, erinnerte nicht mehr viel an jenen Menschen, den sie im Berufsleben darstellte. Was in erster Linie wohl darauf beruhte, dass sie nicht dieser Mensch war. Ihr Aussehen schien ihn zu verblüffen, und diese Tatsache gefiel ihr.
    Neugierig beugte Elena sich vor, um das Tattoo auf seiner Brust näher in Augenschein zu nehmen. Es erinnerte an die Darstellung eines indianischen Totemtieres. Der Körper war menschenähnlich, aus ineinander verschlungen, spiralförmig angeordneten Linien gebildet. Der Kopf war der eines Vogels mit langem, sichelartig gebogenem Schnabel, der sich auf reizvolle Weise um seine rechte Brustwarze krümmte.
    „Hi“, hörte sie Daniel antworten.
    Denk daran, ermahnte sich Elena. Er hat Schlimmes erlebt. Er hat erfahren, dass seine Frau lebendig verbrannt wurde. Sei gnädig. Nein, sei höflich. Sei so höflich, wie du nur kannst. Ausnahmsweise.
    „Was tun Sie hier?“ Elenas Blick klebte auf seiner nassen Brust. Wie es von einem Mitglied des SRT-Teams verlangt wurde, war er vom Scheitel bis zur Sohle durchtrainiert. Bei dem täglichen Training, das man nur als gnadenlos bezeichnen konnte, blieb das kaum aus. Es wäre ein guter Schritt in Richtung Höflichkeit gewesen, ihn nicht derart anzustarren, doch das Bild, das er bot, machte es ihr unmöglich. Sie konnte es in letzter Sekunde unterdrücken, nicht inspiriert auf ihrer Unterlippe herumzukauen.
    „Ich war schwimmen.“
    Gemächlich stand er auf, präsentierte sich in voller Pracht und beantwortete ihr Starren mit einem spöttischen Lächeln. Dieser Mann schien sich der Wirkung seines Aussehens bewusst zu sein. Er wusste genau, warum sie jeden Zoll seines Körpers musterte. Absolut jeden. Tropfendes Haar umrahmte sein Gesicht. Sand klebte auf seinen Armen und an seiner Hüfte. Elena schauderte, als er ihn beiläufig abwischte.
    „Schwimmen?“ Sie schob ein wenig ihren Unterkiefer vor, um energischer zu wirken. „Das ist lebensmüde bei diesem Sturm. Abgesehen davon dürfte das Wasser höchstens fünfzehn Grad haben.“
    „Zehn Grad.“
    „Sie sind lebensmüde.“
    Daniel zog seine Kleidung über. Sie bestand lediglich aus Shorts und einer weiten, schwarzen Hose – allein der Anblick

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