Wenn plötzlich die Angst kommt: Panikattacken verstehen und überwinden (German Edition)
behalten die Betroffenen immer die Kontrolle über ihre Handlungen. Wenn jemand Angst davor hat, andere zu verletzen, bedeutet das, dass er gerade das nicht will. Auch hier geht es wieder nur um eine Befürchtung, nicht um eine reale Bedrohung; in Wirklichkeit werden die Betroffenen ihre Lieben nicht angreifen oder verletzen.
Ein Papiertiger?
In den letzten vier Kapiteln haben wir uns mit vielen der üblichen Ängste beschäftigt, die Betroffene während einer Panikattacke erleben. Es ist völlig normal und vernünftig, dass Menschen, diemit plötzlichen, kaum erträglichen Gefühlen konfrontiert werden, die sie nie zuvor erlebt haben, solche Ängste und Befürchtungen haben. Ich glaube, jedem, der die plötzlichen, übermächtigen und scheinbar unerklärlichen Gefühle verspürt, die eine Panikattacke begleiten, würde es genauso ergehen. Die Betroffenen sind weder dumm noch verrückt, wenn sie solche Gedanken hegen; trotzdem sind diese Befürchtungen schlicht und einfach falsch. Tatsache ist, dass man durch Panikattacken weder geistigen noch körperlichen Schaden nehmen kann. Eine Panikattacke ist wie eine Schlange, die aussieht wie eine Giftschlange, in Wirklichkeit jedoch völlig harmlos ist – ohne Zähne und ohne Gift.
Wie kommt es aber, dass der eine Mensch während einer Panikattacke das eine befürchtet und ein anderer etwas völlig anderes? Die Symptome, die die beiden erleben, sind mehr oder weniger dieselben, aber der eine befürchtet vielleicht, er hätte eine Herzattacke, und der andere, er sei geisteskrank. Warum befürchten sie nicht dasselbe?
Einer meiner Patienten konnte nicht verstehen, warum er Angst hatte, er würde während einer Attacke aufhören zu atmen, ohnmächtig werden und sterben. Als er mir seine Lebensgeschichte erzählte, wurde mir klar, dass in seiner Familie eine starke gedankliche Verbindung zwischen Krankheit, Tod und Atemproblemen bestand. Er erinnerte sich daran, dass er in seiner Kindheit miterlebt hatte, wie sein Bruder nachts um Atem rang, weil er unter Bronchitis litt, und dass er damit gerechnet hatte, er könnte jeden Moment sterben. Sein Vater war an Lungenentzündung gestorben. Vor einiger Zeit hatte eine Cousine in seinem Beisein einen schweren Asthmaanfall; sie bekam kaum noch Luft und lief blau an. Er selbst war ziemlich übergewichtig und kam schnell außer Atem, wenn er sich anstrengte. Es war offensichtlich, dass in seinem Denken eine Verbindung zwischen Krankheit und Atemnot bestand, und es war nahe liegend, dass er bei seiner ersten Panikattacke sofort dachte: »Ich kriege keine Luft mehr – ich muss sterben.«
Andere Patienten haben miterlebt, wie Verwandte an einem Herzinfarkt gestorben sind, oder sie haben schon immer heimlich befürchtet, einmal geisteskrank zu werden. Sie hatten vielleicht eine Tante, die unter einer Geisteskrankheit litt, und die ganze Familie sagt: »Ach nein, du bist doch wirklich genau wie Tante Elisabeth!« Derartige Erfahrungen können einen großen Einfluss darauf haben, welche Gedanken Menschen bewegen, die unter Panikattacken leiden. Ein anderer Grund kann sein, dass bestimmte Symptome sehr stark sind; so ist es ganz natürlich, dass jemand, dessen Herz während einer Attacke sehr schnell schlägt, befürchtet, herzkrank zu sein. Das hat dann nichts mit irgendwelchen Erfahrungen zu tun, die er in der Vergangenheit gemacht hat.
Wir halten also fest: Verschiedene Menschen können ganz verschiedene Ängste haben. Allen ist jedoch gemeinsam, dass sie irgendein bevorstehendes Unglück fürchten. Wir können sogar so weit gehen zu sagen, dass die Betroffenen an eine Lüge glauben oder dass ihre Gefühle ihnen weisgemacht haben, sie seien in Gefahr.
Ist es dann also doch so, dass Panik sich nur im Kopf abspielt? Nein, ganz und gar nicht. Die körperlichen Symptome sind wirklich vorhanden. Aber die Vorstellung von dem, was während einer Panikattacke geschehen könnte, spielt sich im Kopf ab, in der Phantasie.
TEIL III
Woher Panikattacken kommen
9. Wodurch werden Panikattacken verursacht?
Die erste Panikattacke, die ein Mensch erlebt, trifft ihn oft völlig überraschend, wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Es gibt keinen ersichtlichen Grund dafür, dass so etwas geschieht – der Betreffende hat an jenem Tag nichts Ungewöhnliches getan und war keiner stärkeren Belastung ausgesetzt als sonst. Es scheint völlig unerklärlich zu sein, warum er plötzlich von Panik überfallen wird. Auch wenn Panikattacken später dann zu
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