Wenn süss das Mondlicht auf den Hügeln schläft
voller Verachtung.
«Sie flüstern nur, wenn was Schlimmes ist», sagte Emma. Sie überlegte kurz. «Vielleicht kriegt sie ein Baby.»
«Red keinen Quatsch!» sagte Gaylord. «Sie ist doch nicht verheiratet.»
«Ach ja», sagte Emma. «Daran hatte ich nicht gedacht.»
Also so was, dachte Gaylord. Seine kleine Kusine konnte schon sehr beschränkt sein.
Der nächste und zugleich einzige Zug fuhr um sechs Uhr, in einer Stunde also. Eine ganze Stunde, dachte Jocelyn, mit Gaylord, Emma und einem sensiblen Mädchen, daß ich gerade in Tränen gestürzt habe! Eine volle Stunde, und dann fängt die Reise erst an. Nun, eines stand für ihn fest, er würde den Bahnhof nicht verlassen. Wenn er irgendwo sicher war, dann hier. Er wollte es nicht riskieren, in die Dünen gelockt zu werden.
Sie setzten sich auf eine Bank. «Wir hätten noch Zeit genug für einen Schaufensterbummel», sagte Jenny.
Paps drückte seine Schultern fester an die Rücklehne.
«Meinetwegen kannst du gehen», sagte er. «Ich bleibe hier und rauche eine Pfeife, wenn du nichts dagegen hast.»
«Ich komme mit.» Emma rutschte von der Bank herunter.
Prompt sagte Gaylord: «Ich bleibe hier.»
«Du fährst doch nicht ohne uns ab?» fragte Jenny ängstlich lä-chelnd. «Ich habe nämlich kein Geld.»
Jocelyn packte das blanke Entsetzen. «O Gott, es gibt nur diesen einen Zug. Kommt bloß rechtzeitig wieder, hört ihr?»
Sie lachte. «Natürlich, Onkel. Mach dir keine Sorgen. Wir kommen schon wieder.»
Sie zogen los. Jocelyn sah ihnen mit gemischten Gefühlen nach. Einerseits fühlte er sich sicherer, wenn Jennys Rock nicht dauernd seine Knie streifte. Andererseits - was sollte er machen, wenn sie
nicht rechtzeitig wiederkamen? Er konnte sie doch nicht einfach hier sitzenlassen. Doch er würde seine Ehe aufs Spiel setzen, wenn er den letzten Zug verpaßte. Nein, dann würde er sie lieber im Stich lassen. Was konnte den beiden schon Schlimmes passieren?
Gaylord lehnte sich gemütlich zurück, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. «Henry Bartlett sagt, der Handel mit weißen Sklaven wird immer schlimmer», bemerkte er ganz versonnen.
Jocelyn fuhr zusammen und starrte seinen Sohn fassungslos an. «Ja, sag mal, woher weiß Henry Bartlett was vom Handel mit weißen Sklaven?»
«Er hat es in der Zeitung gelesen», sagte Gaylord.
«Guter Gott! » sagte Jocelyn.
Sie schwiegen beide. «Was ist das - Handel mit weißen Sklaven?» fragte Gaylord.
Paps sagte gereizt: «Verflixt, Gaylord, du kannst nicht erst eine tolle Behauptung aufstellen und im nächsten Atemzug fragen, worum es überhaupt geht.»
«Wieso nicht?»
«Weil... Nun, weil es ein Beweis dafür ist, daß du keine Ahnung hast, wovon du überhaupt redest.»
«Hab ich auch nicht. Darum frag ich ja», sagte Gaylord vorwurfsvoll. «Hat es was mit Negern zu tun?»
«Nein», sagte Paps. «Mit Negern hat das absolut nichts zu tun.» Dann entsann er sich Mays strikter Anweisung, alle Fragen stets freimütig und furchtlos zu beantworten. Er schluckte. «Böse Männer kaufen manchmal Frauen, um... um damit Geld zu verdienen.»
«Würden sie auch Emma kaufen?»
«Nein», sagte Paps entschieden.
«Warum nicht?»
«Nun sag doch selbst.» Paps sprach ganz von Mann zu Mann. «Würdest du dein gutes Geld für Emma ausgeben?»
«Nein», sagte Gaylord.
«Na, siehst du, da hast du’s», sagte Paps.
«Ja», sagte Gaylord. Er dachte nach. Er hatte nicht gewußt, daß man Frauen kaufen und verkaufen konnte. Aber es überraschte ihn nicht. Die Erwachsenen schienen ihr Leben mit Kaufen und Verkaufen zu verbringen. Paps verkaufte Geschichten, Opa kaufte Aktien. Warum also keine Frauen? «Für Amanda würden wir sicher viel Geld bekommen», sagte er hoffnungsvoll.
Paps war sehr gewissenhaft. Er sagte: «Ich glaube, du hast das nicht ganz richtig erfaßt. Die ganze Sache ist... viel komplizierter...»
Doch Gaylord war nicht mehr am Thema interessiert. «Wetten, daß Jenny und Emma den Zug verpassen», sagte er.
«Das tun sie besser nicht!» sagte Jocelyn ängstlich. Er sah auf die Bahnhofsuhr. Fünf Uhr zwanzig! Angenommen - nur mal angenommen -, sie wären um fünf Uhr fünfzig nicht wieder da?
Sie waren es nicht. Paps nahm Gaylord fest an die Hand und ging vor den Bahnhof. Nichts zu sehen. Sie rannten die einzige Ladenstraße hinunter. Auch hier war nichts zu sehen. Die Ladeninhaber holten bereits die Strandbälle und Sonnenhüte herein und schlossen die Geschäfte. Über dem Meer lag eine
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