Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)
entdeckte dabei ein Kleid im Schaufenster, dessen Stil ihr zu altmodisch, dessen Grünton aber ihre Lieblingsfarbe war.
Eine Stufe führte zur Ladentür hinunter. Daisy konnte zwar nur die vorderste Reihe Kleider sehen, doch die gesamte in Elfenbein und Blassrosa gehaltene Aufmachung des Ladens verriet, dass es sich um ein Geschäft für exklusive Designermode handelte.
Im Innern der Boutique konnte sie niemanden sehen, weder Verkäuferinnen noch Kundinnen.
Sie machte kehrt und ging noch einmal an den Schaufenstern vorbei. Mavis hatte erwähnt, Ellen habe sich nie für Mode interessiert. Aber sie konnte ganz deutlich fühlen, dass dieser Laden Ellen gehörte. Daisy kaufte normalerweise in preiswerten Läden oder in jenen Secondhandshops, die ihren Verkaufserlös wohltätigen Zwecken zur Verfügung stellten, und dennoch fühlte sie sich geradezu magisch von dieser Boutique angezogen. Das musste etwas zu bedeuten haben.
Sie drehte um, ging die Heath Street hinunter und setzte sich in ein Café. Ihr Verstand riet ihr, heimzufahren und Ellen einen Brief zu schreiben. Aber als sie ihren Kaffee ausgetrunken hatte, schlenderte sie abermals zu der Boutique.
Dieses Mal konnte sie drinnen jemanden erkennen. Eine schlanke Frau in einem schwarzen Kleid stand mit dem Rücken zu ihr und ordnete Kleidungsstücke auf einem fahrbaren Kleiderständer. Sie hatte rote, lockige, schulterlange Haare.
Daisy heftete den Blick auf sie; sie wünschte, sie würde sich umdrehen, und hatte gleichzeitig Angst, entdeckt zu werden. Sie betrachtete die Frau eingehend: die Goldkette, die sie als Gürtel um die schmale Taille trug, die knabenhaften Hüften, die dünnen, aber schönen Beine, die schwarzen, hochhackigen, mit einem Goldstreifen verzierten Pumps.
Sie hatte sich Ellen eher im Folklorelook vorgestellt und nicht so elegant, so glamourös. Doch sie musste es sein; ein Blick auf ihre Haare sagte alles. Würde man sie in die gleichen Sachen stecken und neben diese Frau stellen, so wäre der einzige Unterschied zwischen ihnen, dass ihr, Daisys, Haar länger, ungebärdiger und momentan leider auch ungepflegter war.
Sie bekam plötzlich weiche Knie. Ihr Herz raste, ihre Handflächen waren schweißnass. Sie wusste, sie sollte sich auf diese Begegnung vorbereiten, aber der Wunsch, Ellens Gesicht zu sehen, ihre Stimme zu hören, war stärker als alles andere.
Die Ladenglocke klingelte, als sie die Tür öffnete, und die Frau drehte sich um und lächelte, wie sie wohl jeden Kunden anlächelte.
»Darf ich mich ein wenig umsehen?«, brachte Daisy mühsam hervor. Die Frau war wunderschön. Sie hatte sanfte braune Augen, die von nur ganz wenigen, winzigen Fältchen umgeben waren, eine Pfirsichhaut und volle Mädchenlippen. Das war zweifellos die Frau, die vor dreizehn Jahren in Mavis’ Garten fotografiert worden war. Die Schüchternheit allerdings war aus ihrem Lächeln gewichen; sie strahlte das Selbstvertrauen einer Frau aus, die ihren Wert kannte.
»Aber selbstverständlich«, erwiderte sie fröhlich. »Lassen Sie sich von mir nicht stören. Am Samstag ging es hier rund, ich muss den Laden erst mal wieder auf Vordermann bringen.«
Man konnte die Spur eines Dialekts heraushören, doch wäre Daisy nicht gerade in Cornwall gewesen, hätte sie nie erraten, um welchen Dialekt es sich handelte. Sie stellte ihren Aktenkoffer ab und trat vor ein Regal mit Pullovern. In dem abgeschlossenen Raum fühlte sie sich noch zittriger.
Sie hatte selten eine geschmackvollere Ladeneinrichtung gesehen, ganz in Elfenbein und dezentem Rosa mit einem Hauch Gold an der Ladentheke und den Rahmen der zahlreichen Spiegel. Der plüschige cremefarbene Teppichboden war luxuriös, und es duftete nach einem teuren Parfüm. Die Vorhänge an den Umkleidekabinen ganz hinten waren aus edlem blassrosafarbenen Brokat, und die Raffhalter bestanden aus einer dicken Kordel mit Goldquaste.
Daisy nahm einen hellgrünen, wunderschönen italienischen Spitzenpullover, für den sie ihren rechten Arm geben würde, aus dem Regal.
»Der würde Ihnen fabelhaft stehen«, meinte die Frau hinter ihr.
Daisy wusste, sie betrachtete ihr Haar, dessen Farbe ihrem eigenen so ähnlich war. Sie konnte sich nicht länger beherrschen.
»Sind Sie Ellen?«, fragte sie.
»Ja, warum?« Sie lächelte und entblößte perfekte, gleichmäßige Zähne. »Hat mich jemand empfohlen?«
Daisy holte tief Luft. »Nicht direkt. Ich bin Ihre Tochter.«
Eine Sekunde lang herrschte Totenstille. Ellen starrte sie
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