Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)
in den Spiegel in der Eingangshalle und fand, sie sah wirklich wie eine Sekretärin aus: Sie trug ein schwarzes Kostüm und in der Hand Lucys ledernen Aktenkoffer und hatte sich die Haare zusammengebunden.
Das Vorzimmer der Kanzlei war hochelegant eingerichtet. Tiefblaue Sofas standen vor cremefarbenen Wänden, an denen Ölgemälde hingen. Eine untersetzte, grauhaarige Dame in einem marineblauen Kostüm schaute auf und lächelte, als Daisy hereinkam. »Kann ich Ihnen helfen?«
Daisy hatte sich immer etwas auf ihre schauspielerischen Fähigkeiten eingebildet. Auf diese Weise hatte sie manchen Job und manchen Mann bekommen. Sie spulte die Geschichte herunter, die sie sich zurechtgelegt hatte, und reichte der Vorzimmerdame den Brief mit der Bitte um eine Referenz, den die Londoner Anwälte Mr. Briggs geschickt hatten.
»Nach Abwicklung des Grundstücksverkaufs zog Miss Pengelly nach London, ohne uns ihre Anschrift mitzuteilen. Jetzt haben sich aber noch ein paar Fragen ergeben. Wenn Sie so freundlich wären nachzusehen, ob Sie ihre gegenwärtige Adresse haben? Die Angelegenheit duldet keinen Aufschub.«
Die Vorzimmerdame schöpfte nicht den geringsten Verdacht. Sie sagte, sie werde in den Unterlagen nachsehen, und bat Daisy, doch solange Platz zu nehmen. Sie ging nach nebenan, und Daisy konnte hören, wie sie sich mit jemandem unterhielt.
Nach ein paar Minuten kam sie zurück. Sie hielt eine schmale braune Mappe in der Hand.
»Miss Pengellys Privatanschrift haben wir leider auch nicht«, erklärte sie. »Wir haben sie nur ein einziges Mal vertreten, als es um die Vorbereitung eines gewerblichen Mietvertrags ging. Die einzige Anschrift, die ich Ihnen geben kann, ist diese hier.«
Daisy starrte die Frau verständnislos an. »Ein gewerblicher Mietvertrag?«, wiederholte sie.
»Ja, es ging um einen Laden. Miss Pengelly schloss einen Mietvertrag für die Dauer von fünfzehn Jahren ab.«
»Und wo befindet sich dieser Laden?« Es sollte beiläufig klingen, aber innerlich triumphierte Daisy und hatte alle Mühe, es sich nicht anmerken zu lassen.
»14 Heath Street, Hampstead«, antwortete die Frau. »Eine Telefonnummer habe ich leider nicht.«
»Das macht nichts«, versicherte Daisy. Sie zwang sich, ruhig zu bleiben, und kritzelte die Adresse hastig auf einen Zettel. »Mr. Briggs’ Schreiben wird sie dort erreichen. Sie haben mir wirklich sehr geholfen. Vielen Dank.«
Unten in der Marylebone Road zündete sich Daisy als Erstes eine Zigarette an, um ihre flatternden Nerven zu beruhigen. Sie konnte nicht glauben, dass es so einfach gewesen war. Sie hatte immer gedacht, Anwälte würden nicht so ohne weiteres Informationen über ihre Klienten herausgeben.
Ihr Vater hatte sie gebeten, ihm Bescheid zu geben, falls sie etwas herausfinden sollte, doch sie wusste, wenn sie ihn jetzt anriefe, würde er ihr raten, nach Hause zu gehen und Ellen einen Brief zu schreiben. Das wollte sie aber nicht. Sie würde erst einmal nach Hampstead fahren und sich Ellens Laden anschauen. Danach würde sie mit ihm reden.
Sie kannte Hampstead ganz gut aus ihrer späten Teenagerzeit, als sie mit Freunden oft in den dortigen Pubs verkehrt hatte. Sie hatte sogar von einer Wohnung in Hampstead geträumt, weil ihr die malerische Künstler-Atmosphäre des Viertels so gut gefiel, aber die Mieten waren leider unerschwinglich gewesen.
Als sie aus dem U-Bahn-Schacht kam, bog sie nach rechts ab und ging die Heath Street hinauf. Mit klopfendem Herzen prüfte sie die Hausnummern. Sie kam an einer Kunstgalerie vorbei, einem Geschäft für Babyausstattung und zwei Antiquitätenhändlern. Und dann sah sie das grüne Hängeschild mit der Nummer vierzehn und der Aufschrift Chic Boutique.
Komisch, aber irgendwie hatte sie einen Spielzeugladen oder ein Geschäft für Kunstgewerbeartikel erwartet, jedoch keine Boutique. Ob es gar nicht mehr ihr Laden war?
Vor den Schaufenstern blieb sie stehen. Sie hatte Angst hineinzusehen. Doch da es sich um Erkerfenster handelte, hatte sie zwangsläufig bereits einen Teil der sinnlich-femininen Dekoration erblickt. Langsam trat sie näher.
Über einem mit künstlichen gelb-weißen Gänseblümchen bestreuten Boden war kunstvoll ein hellgelbes Kostüm ausgestellt. Daneben eine exklusive cremefarbene Lederhandtasche, über die ein grün-weißer Seidenschal drapiert war.
Daisy verharrte einen Augenblick regungslos. Würde sie sich ihrer Mutter gegenübersehen, wenn sie nun aufschaute?
Sie zwang sich vorbeizuschlendern und
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