Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)
wünschte, er hätte ihr gesagt, wie sehr er sie in jener schweren Zeit bewundert hatte. Damals hatte er ihre Stärken erkannt: Sie war tüchtig, warmherzig, couragiert und hatte die Familie mit Herz und Humor zusammengehalten.
Vor einigen Wochen hatte er John in dessen Büro angerufen. Die beiden Männer waren immer gut miteinander ausgekommen, und Joel hatte ihn fragen wollen, ob seiner Ansicht nach eine Chance auf Versöhnung bestand. Doch bevor er dazu gekommen war, hatte John ihm mitgeteilt, Daisy habe Ellen gefunden und schwebe seitdem im siebten Himmel, wie er es ausdrückte.
John schien weniger begeistert zu sein. Daisy mache keine Anstalten, sich nach einem Job umzuschauen, erzählte er, sie lebe nur noch für ihre Verabredungen mit Ellen und verschwende keinen Gedanken mehr an ihre Zukunft. Ellen sei zweifellos eine bewundernswerte Frau. Daisy schwärme pausenlos von ihrer Boutique, ihrer Wohnung, ihrer Eleganz und Schönheit. Doch er befürchtete offensichtlich, Ellen könnte sie mit Geschenken – teuren Kleidern und Ähnlichem – ihrer Familie entfremden.
»Du kennst sie ja«, meinte er. »Bei ihr heißt es immer alles oder nichts. Und zurzeit höre ich nur Ellen dies und Ellen das. Der Rest der Familie ist abgemeldet.«
»Das gilt dann wohl auch für mich, hm?«, bemerkte Joel leichthin.
John seufzte. »Mir bleibt nichts anderes übrig, als abzuwarten, wie sich die Dinge entwickeln. Aber das heißt nicht, dass du ebenfalls abwarten musst. Ich weiß nicht, was ich dir raten soll, Joel; ich habe keine Ahnung, was in ihrem Kopf vor sich geht.«
Einen Tag später schickte Joel Daisy einen Blumenstrauß und schrieb ihr dazu, er vermisse sie. Aber sie rief nicht einmal an, um sich zu bedanken, was nur einen Schluss zuließ: Sie wollte nichts mehr von ihm wissen.
Es kam ihm so vor, als wäre es in seinem Leben schlagartig dunkel geworden. Er wachte morgens auf und fühlte eine bleierne Leere in sich. Ohne Daisy erschien ihm alles so sinnlos.
Er liebte sie, er wollte den Rest seines Lebens mit ihr verbringen. Und er hatte geglaubt, sie empfinde das Gleiche. Wie konnte sie etwas so Schönes einfach wegwerfen? Was dachte sie sich bloß dabei?
Daisy dachte an Ellen; sie dachte seit ihrer ersten Begegnung kaum noch an etwas anderes. Sie triumphierte, weil sie eine so schöne, interessante Mutter hatte, grübelte aber auch, was sie tun könnte, damit sie einander näher kamen.
Acht Mal hatten sie sich bisher getroffen, in Ellens Wohnung, zum Essen in einem Restaurant oder auf ein Glas in einem Weinlokal unweit der Boutique. Ellen hatte ihr zwar Geschenke gemacht, zum Beispiel jenen bezaubernden grünen Pullover aus ihrem Laden, verhielt sich aber dennoch reserviert.
Was Daisy mehr störte als ihre mangelnde Bereitschaft, ihre Familie kennen zu lernen, war ihre Weigerung, über die Vergangenheit zu sprechen. Daisy brannte darauf, etwas über ihre Zeugung, die Geburt und die anschließende Adoption zu hören, weil sie fand, darüber müsse einfach gesprochen werden, doch Ellen wich ihr aus: Das sei alles viel zu traurig, meinte sie. Sie erzählte auch nichts über die Jahre in Bristol, über ihre Freunde, ihre Arbeit. Wenn sie über die Vergangenheit sprach, dann über ihre Kindheit.
Ihre amüsanten Anekdoten über die grässlichen Kleider, die sie und Josie hatten anziehen müssen, über ihren strengen Vater und die schlampige, oft so bösartige Violet schienen ihre Art zu sein, mit dem Verlust fertig zu werden. Daisy erinnerte sich, dass sie nach dem Tod Tobys, des Hundes, den sie vor Fred gehabt hatten, genauso reagiert hatten. Statt all die schönen Erinnerungen heraufzubeschwören, die sie nur unsagbar traurig gemacht hätten, hatten sie nur über seine Unarten geredet.
Offensichtlich wurde Ellen immer noch von Schuldgefühlen geplagt, was Josie betraf. Vielleicht glaubte sie, zu wenig getan zu haben, um ihren unaufhaltsamen Abstieg aufzuhalten.
Je länger Daisy über diese Dinge grübelte, desto sicherer war sie, eine Konfrontation mit ihrem früheren Leben in Cornwall sei für Ellen die einzige Möglichkeit, endgültig mit der Vergangenheit abzuschließen. Sie wagte jedoch nicht, ihr diesen Vorschlag zu unterbreiten, weil sie sich Ellens Reaktion vorstellen konnte.
Sie hatte sich auch nicht getraut, ihr zu erzählen, dass sie nach ihrem zweiten Treffen Mavis Peters angerufen und ihr die guten Nachrichten mitgeteilt hatte. Mavis hatte sofort nach London kommen wollen, aber Daisy hatte ihr die
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