Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)
Mavis«, widersprach sie mit leisem Vorwurf in der Stimme, »natürlich bin ich Ellen. Du hast mich nur nicht gleich wiedererkannt, weil ich so gestylt bin.«
Mavis machte einen Schritt, stolperte und ließ ihren Stock fallen. Sie schien einer Ohnmacht nahe zu sein.
Ellen eilte zu ihr und hielt sie fest, während Daisy immer noch wie betäubt dastand. »Steh nicht so rum, hilf mir lieber, sie nach draußen zu bringen«, herrschte Ellen sie an. »Der Weg den Berg hinauf und die Hitze hier drin, das war einfach zu viel für sie. Nun mach schon.«
Endlich kam Bewegung in Daisy. Gemeinsam stützten sie Mavis und führten sie durch den Laden in den kleinen Hinterhof. Daisy setzte sich zu ihr auf die Bank, während Ellen wieder hi-neinlief. Augenblicke später kam sie mit einem nassen Tuch und einem Glas Wasser zurück.
»Mich für Josie zu halten, also weißt du!«, meinte sie zärtlich. Sie legte Mavis das feuchte, kühlende Tuch auf die Stirn und reichte ihr das Glas Wasser. Lächelnd fuhr sie fort: »Ich kann ihr doch unmöglich so ähnlich sehen. Verrate mir lieber, was dich nach Hampstead geführt hat. Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt, weißt du?«
»Das ist alles nur meine Schuld«, platzte Daisy heraus. »Es tut mir ja so Leid, Ellen. Ich wollte euch beide wieder zusammenbringen.«
»Mir scheint, du bist impulsiver, als gut für dich ist«, entgegnete Ellen scharf. »Ich habe selbst bereits mit dem Gedanken gespielt, Mavis anzurufen. Ich freue mich wirklich über das Wiedersehen, doch so ein Schock kann gefährlich sein, vor allem für jemanden in ihrem Alter. Brüh uns einen Tee auf und schließ die Ladentür ab.«
Zutiefst beschämt, trottete Daisy davon.
Als sie zurückkam, hatte Mavis wieder ein bisschen Farbe bekommen. Das feuchte Tuch an die Stirn pressend, blickte sie zu Ellen auf.
»Warum hast du mich aus deinem Leben verstoßen?«, fragte sie leise. Ihre Stimme zitterte.
Daisy atmete auf. Anscheinend war Mavis vorhin nur durcheinander gewesen.
»Das hatte nichts mit dir zu tun«, antwortete Ellen sehr sanft und strich ihr liebevoll über den Kopf. »Nach dem Brand war ich völlig fertig. Ich hatte kaum die Kraft, mich zu waschen und anzuziehen, geschweige denn, mit jemandem zu reden – und schon gar nicht mit dir, weil das so viele Erinnerungen heraufbeschworen hätte.«
»Ein kleiner Brief hätte mir schon genügt.« Mavis’ Lippen bebten. »Eine Nachricht, damit ich gewusst hätte, du bist gesund.«
Ellen machte ein zerknirschtes Gesicht. »Ich wollte dir nicht wehtun. Ich litt selbst so sehr, dass ich alle anderen darüber vergessen habe.« Sie legte Mavis die Hand auf die Schulter. »Und irgendwann wurde mir klar, ich würde einen neuen Anfang machen und alles hinter mir zurücklassen müssen, sogar dich.«
»Frank starb vor fünf Jahren«, erzählte Mavis vorwurfsvoll und mit unsicherer Stimme.
»O Mavis, das tut mir ja so Leid.« Ellen ergriff die Hände der alten Dame und drückte sie. »Er war ein guter Mensch. Hätte ich das gewusst, hätte ich wenigstens Blumen geschickt, aber ich habe in Cornwall zu niemandem Kontakt mehr.«
»Nicht so wichtig.« Mavis schaute zu ihr auf, und ihre blauen Augen schimmerten feucht. »Er war achtundachtzig, ein gesegnetes Alter, wie man so schön sagt, und ich habe ja noch meine Kinder und Enkelkinder.«
Sie tranken zusammen eine Tasse Tee. Daisy merkte, dass mit Mavis etwas nicht in Ordnung war. Ihre Miene war vollkommen ausdruckslos, und sie machte keinen Versuch, mit Ellen ins Gespräch zu kommen. Als Daisy vorschlug, nach Finchley zurückzufahren, nickte sie dankbar.
Ellen war rührend um sie besorgt. Sie versprach, sie später anzurufen, um sich zu vergewissern, dass sie gut nach Hause gekommen war, und meinte, vielleicht könnten sie sich ja am nächsten Tag zum Lunch treffen. Mavis schien sich ein wenig erholt zu haben. Die Fahrt nach London sei doch beschwerlicher gewesen, als sie gedacht habe, gestand sie, und es werde wohl allmählich Zeit, sich wie eine Sechsundachtzigjährige zu benehmen.
Ellen nahm Daisy beiseite, bevor sie ging, um den Wagen zu holen. »Das war wirklich dumm und gefährlich, was du da gemacht hast«, zischte sie. Ihre braunen Augen waren ganz dunkel vor Zorn. »Sieh zu, dass sie sich zu Hause ein wenig hinlegt. Und wag es ja nicht, dich noch einmal in mein Leben einzumischen, sonst lernst du mich kennen!«
Mavis sprach auf der Rückfahrt kein Wort, und Daisys Beklommenheit wuchs von Minute zu
Weitere Kostenlose Bücher