Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)
Situation erklärt: Sie mochte sich nicht über Ellens ausdrücklichen Wunsch hinwegsetzen.
Seitdem waren einige Wochen vergangen. Daisy zweifelte nicht mehr daran, dass es für Ellen das Beste wäre, sich mit ihrer Vergangenheit auseinander zu setzen. Sie hatte wohl ein paar Freunde in London, aber es gab keinen Mann in ihrem Leben, und sie schien meistens allein zu sein. Obgleich sie behauptete, ihr gefalle ihr Leben so, wie es war, vermutete Daisy, sie mache ihr und sich selbst nur etwas vor, und sie sei in Wirklichkeit einsam.
Mavis war bereit, eine Zurückweisung in Kauf zu nehmen, so groß war ihre Sehnsucht, Ellen wiederzusehen. Daisy konnte sich nicht vorstellen, dass Ellen ihr die Tür vor der Nase zuwerfen würde – warum sollte sie auch? Der Bruch zwischen ihnen war durch Kummer und Schmerz ausgelöst worden. Wenn Ellen diese erste Hürde überwunden hätte, würde sie vielleicht sogar wieder Kontakt zu ihren alten Freunden in Bristol aufnehmen und endlich wieder anfangen zu leben, anstatt ihre gesamte Energie in die Boutique zu stecken.
Daisy sorgte sich so sehr um Ellens Leben, dass sie darüber ihr eigenes vergaß. Sie hatte keinen Gedanken mehr an die Suche nach einem Arbeitsplatz verschwendet. Tom und Lucy standen vor ihrem Abschlussexamen. Anschließend wollten sie gemeinsam eine Weltreise unternehmen, und Lucy hatte sie in einer Anwandlung von Großzügigkeit gefragt, ob sie sie nicht begleiten wolle. Aber Daisys Zeit war vollständig mit Ellen ausgefüllt; sie kam kaum noch zu etwas anderem.
Und dann war da noch Joel. Sie schämte sich, dass sie sich nicht einmal für die Blumen bedankt oder ihm wenigstens klipp und klar gesagt hatte, es sei vorbei.
Er drängte sich nach wie vor mit schöner Regelmäßigkeit in ihre Gedanken, und es gab vieles, das sie schrecklich vermisste. Sex zum Beispiel. Die eigene Mutter zu finden, war zwar großartig, doch nicht zu vergleichen mit leidenschaftlichem Sex! Manchmal betrachtete sie den Schlüssel zu seiner Wohnung und stellte sich vor, wie sie zu ihm ginge, wenn er Nachtdienst hätte, und in seinem Bett auf ihn wartete. Beim bloßen Gedanken daran erschauderte sie.
Daisy vermisste aber auch seinen Sinn für Humor. Sie hatte seit einer Ewigkeit nicht mehr herzhaft gelacht. Und sie vermisste das Gefühl, umsorgt zu werden. Joel hatte das Taxi besorgt, im Restaurant einen Tisch reserviert, sich überlegt, was sie an seinem dienstfreien Wochenende unternehmen könnten. Es stimmte überhaupt nicht, dass er ein Kontrollfreak war: Er hatte lediglich ein organisatorisches Talent, das ihr völlig fehlte.
Doch wie würde er auf ihre Beziehung zu Ellen reagieren, wenn sie sich mit ihm versöhnte? Und wo sollte sie zwischen ihm und Ellen noch eine Stelle als Chefköchin unterbringen? Daisy tat, was sie immer tat, wenn sie nicht weiterwusste – nichts.
Als sie sich dessen bewusst wurde, griff sie zum Telefon und rief Mavis an, um ihr einen Vorschlag zu einem Treffen mit Ellen zu unterbreiten. Sie handelte. Joel und vermutlich auch ihr Vater hätten das nicht »handeln« genannt, sondern »sich in fremde Angelegenheiten einmischen«. Tims Schwester Harriet, Mavis’ Enkelin, wohnte in Finchley. Mavis könnte sie übers Wochenende besuchen, und am Samstagnachmittag würde Daisy sie zu Ellens Boutique bringen.
»Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist«, antwortete Mavis zweifelnd, als Daisy ihr ihren Plan darlegte. »Ich würde schon gern, aber finden Sie das nicht ein bisschen aufdringlich?«
»Ich war noch viel aufdringlicher, als ich einfach bei ihr reinmarschiert bin und mich als ihre Tochter vorgestellt habe.« Daisy strotzte vor Selbstvertrauen. »Und es hat sich etwas so Wunderbares daraus entwickelt! Haben Sie ruhig ein bisschen Mut zum Risiko!«
Es war Mitte Mai und prächtiges Wetter, als Mavis an einem Freitagabend anrief und mitteilte, sie sei gut in Finchley angekommen. Sie war schrecklich aufgeregt, weil sie Daisy, vor allem aber, weil sie Ellen wiedersehen würde.
»Ich hole Sie morgen um zwölf ab«, schlug Daisy vor. »Wir gehen erst irgendwo essen und fahren anschließend nach Hampstead.«
»Was hast du denn vor?« John musterte sie neugierig, als sie am späten Samstagvormittag durchs Haus tanzte. Sie war schon in aller Frühe mit Fred draußen gewesen, hatte dann geduscht und sich die Haare gewaschen und sich fein gemacht. Das und ihr strahlendes Lächeln kamen ihm verdächtig vor. »Hast du dich mit Joel versöhnt?«, fragte er
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