Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)
die Farm tatsächlich seiner Ältesten hinterließe, so würde Ellen, die ihrer Schwester sehr nahe stand, dafür sorgen, dass Josie ihren Anteil bekam.
Die tiefe Zuneigung und die Freundschaft, die die beiden Mädchen füreinander empfanden, schützte sie vor dem Hass, der zwischen ihren Eltern wütete. Josie fühlte sich vom Vater nicht geliebt, Ellen von der Mutter nur geduldet. Waren sie miteinander allein, spielte das alles keine Rolle mehr. Es gab weder Neid noch Eifersucht zwischen ihnen; sie waren Kameradinnen, Schwestern, Freundinnen und ignorierten die Unzulänglichkeiten ihrer Eltern, so gut sie konnten.
»Wie du nur daran denken kannst, noch mal zwei Jahre zur Schule zu gehen, ist mir zu hoch«, seufzte Josie. Sie ließ sich in das Becken zwischen den Felsen hinabgleiten und spritzte Ellen nass. »Ich kann es kaum erwarten, bis ich fünfzehn bin und das alles hinter mir habe.«
Ellen schlenkerte mit den Füßen, damit Josie auch nass wurde. »Und was willst du dann anfangen? Bei Woolworths hinterm Ladentisch stehen?«, erwiderte sie halb im Scherz, um Josie nicht zu verletzen. Ihre Schwester war vielleicht nicht die Klügste, aber sie war immerhin Spielführerin der Korbballmannschaft der Schule und hatte die Schwimmmeisterschaft gewonnen. »Frag doch mal, ob du einen Sekretärinnenkurs besuchen kannst. Das würde dir bestimmt gefallen, und mit einer zusätzlichen Qualifikation kriegst du auch einen besseren Job.«
Josie schnitt eine Grimasse. »Das Lernen steht mir bis hier. Ich will endlich ein bisschen Spaß haben und mein eigenes Geld verdienen. Ein Glück, dass ich so weit weg von meinen Freundinnen wohne. Ich würde tot umfallen, wenn sie mich in diesen Klamotten sehen würden.«
In diesem Punkt waren sich beide einig. Sie hatten nichts Hübsches anzuziehen. Von Montag bis Freitag trugen sie ihre Schuluniformen und unterschieden sich nicht von den anderen Teenagern. Aber an den Wochenenden oder an Feiertagen trauten sie sich nicht aus dem Haus. Es war ihnen peinlich, sich mit Freunden zu verabreden oder einen Tag in Falmouth zu verbringen, weil sie in ihren selbst genähten Kleidern und den klobigen, praktischen Schuhen wie Flüchtlingskinder aussahen.
Da Albert mit seinem Gemüse und den Tieren auf dem Markt sehr viel höhere Preise erzielte als noch vor zehn Jahren, warf die Farm zwar mehr ab, doch das Geld, das hereinkam, wurde in Reparaturen und Renovierungen gesteckt. Vor fünf Jahren war die Farm ans Stromnetz angeschlossen worden. Das Scheunendach hatte erneuert werden müssen, und als der alte Traktor endgültig den Geist aufgegeben hatte, hatte ein neuer angeschafft werden müssen. Vor einem knappen Jahr war ein richtiges Bad mit Toilette eingebaut worden. Obwohl sich die Mädchen riesig darüber gefreut hatten, bedeutete das, dass neue Kleider oder anderer Luxus vorerst gestrichen waren. Ellen machte das nicht so viel aus wie Josie, die gern unter Leute ging und die dachte, sie könnten sich nur deshalb nichts leisten, weil ihr Vater geizig war.
»Du bist so hübsch, da achtet doch kein Mensch darauf, was du anhast«, versicherte Ellen ihr. »Du siehst in diesen Shorts tausend Mal besser aus als Sally Trevoise in ihren schicken Klamotten.«
Sally war für Ellen nach wie vor ein rotes Tuch. In der Grundschule hatte sie sie gedemütigt, wo sie nur konnte, und dann war sie zu Ellens Entsetzen auch noch aufs Gymnasium versetzt worden. Da sie in dieselbe Klasse gingen und denselben Bus nahmen, konnte sie ihr nicht aus dem Weg gehen. Nach der neuesten Londoner Mode gekleidet, stolzierte Sally wie ein Pfau durchs Dorf. Am Sonntag war sie in einem pinkfarbenen Futteralkleid mit passender Jacke, einem Ensemble, für das Ellen und Josie alles gegeben hätten, zum Gottesdienst erschienen. Der einzige Trost war, dass Sally, die ziemlich in die Breite gegangen war und eine fürchterliche Akne hatte – wahrscheinlich von den vielen Süßigkeiten, die sie im Laden ihrer Eltern in sich hineinstopfte –, nicht gerade umwerfend in ihren schicken Sachen aussah.
Josie schaute an sich hinunter. Ihre langen, schlanken, gebräunten Beine steckten in Herren-Khakishorts, die ein Nachbar ihnen vor einigen Jahren geschenkt hatte, die aber wie angegossen passten. »Hast du Sallys Beine gesehen? Sie hat richtige Stampfer«, bemerkte sie kichernd.
Ein paar Minuten lang zählten sie auf, was alles an Sally nicht stimmte. Schließlich mussten sie aufhören, weil sie vor Lachen nicht mehr weiterreden
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