Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)
wusste Violet. Dennoch hoffte sie, die Geburt ihres gemeinsamen Kindes werde alles zum Guten wenden und Alberts Liebe für sie wecken.
Doch der Geist der Toten war stärker. Clare stand permanent zwischen ihnen. Albert entfernte ihre Gemälde aus dem Wohnzimmer und verbrannte sie, zerriss ihre Gedichte und verschenkte ihre Kleider, aber das alles vermochte Clare nicht aus seinem Herzen zu vertreiben. Sie schien sogar anwesend zu sein, als Josie zur Welt kam, und durch ihre Gegenwart zu verhindern, dass das Baby irgendetwas von seiner Mutter mitbekam, denn bereits nach wenigen Tagen war klar, die Kleine würde haargenau wie Ellen aussehen.
Der rote Lockenkopf wies das Mädchen zweifelsfrei als eine Pengelly aus, und Violet war dankbar dafür. Das machte das Leben einfacher. Wer neu in die Gegend zog, ging davon aus, sie sei die erste und einzige Mrs. Pengelly. Das Gerede der Leute verstummte allmählich. Vielleicht war Alberts Ruf als ein Mann, mit dem man sich besser nicht anlegte, der Grund dafür. Violet zog es jedoch vor zu glauben, der Klatsch und Tratsch habe aufgehört, weil sie akzeptiert wurde.
Als die beiden Mädchen heranwuchsen und sich geistig zu entwickeln begannen, packte Violet oft der Neid auf Ellen, die viel klüger als ihre Halbschwester war. Josie hatte zwar weder das glatte, stumpfe Haar noch den Silberblick ihrer Mutter geerbt, aber sie wirkte wesentlich schwerfälliger als Ellen. Und die Leute fühlten sich zu Ellen, nicht zu Josie hingezogen.
Violet konnte sich damit abfinden, im Schatten einer Toten zu stehen, doch sie würde nicht zulassen, dass Ellen ihrer Tochter die Schau stahl.
Als die beiden Mädchen nun das Haus betraten, stürzte sich Violet auf Ellen und schlug sie ins Gesicht. »Was fällt dir ein, einfach abzuhauen und Josie allein zu lassen?«, schimpfte sie. »Ihr hätte Gott weiß was auf dem Heimweg zustoßen können.«
Ellen fing an zu weinen. Ihr Dad war nicht da, doch er musste ihrer Mum erzählt haben, was passiert war, sonst hätte sie das mit Josie nicht gewusst. Warum war sie dann so gemein zu ihr?
»Ich kann doch nichts dafür«, schluchzte sie. »Ich wollte schnell nach Hause und Daddy fragen, ob das stimmt, und da hab ich gar nicht mehr an Josie gedacht.«
»Es hat mir nichts ausgemacht, allein heimzugehen«, mischte sich Josie ein. Sie verstand zwar nicht, worum es eigentlich ging, aber sie mochte es nicht, wenn ihre Schwester geohrfeigt wurde. »Du darfst ihr nicht böse sein, Mummy.«
Sie erreichte genau das Gegenteil: Violet verlor vollends die Beherrschung. »Verschwinde!«, brüllte sie Josie an und schlug mit einem Handtuch nach ihr wie nach einem Huhn, das sich in die Küche verirrt hatte. »Ab in dein Zimmer!«
Josie lief die Treppe hinauf, und Violet ging von neuem auf Ellen los. »Hör gut zu, Fräulein«, stieß sie hervor, und ihr blasses, aufgedunsenes Gesicht war vor Wut verzerrt. »Ich war für dich da, als keiner was von dir wissen wollte. Wegen dir und deiner verdammten Mutter hab ich eine Menge durchgemacht. Und wenn du diese ganze Geschichte auch nur noch ein einziges Mal erwähnst, vor allem deinem Vater gegenüber, dann wirst du mich kennen lernen, hast du mich verstanden?«
Das hatte Ellen allerdings. Jetzt wusste sie mit absoluter Sicherheit, dass diese Frau, die sie für ihre Mutter gehalten hatte, sich nicht das Geringste aus ihr machte.
4. Kapitel
1963
U nd was hast du jetzt vor, Ellen?«, fragte Josie.
Es war ein heißer Sonntagnachmittag im Juni. Die beiden Mädchen saßen auf einem Felsbrocken in der kleinen Bucht und unterhielten sich über Ellens weitere Ausbildung.
»Keine Ahnung«, erwiderte Ellen. Sie hatte die Füße in einem Wasserbecken hängen, das sich zwischen den Steinen gebildet hatte, und wackelte mit den Zehen. »Einerseits möchte ich im September zurück auf die Schule, wenn ich die mittlere Reife geschafft habe, und danach das Abitur machen, andererseits würde ich ganz gern mein eigenes Geld verdienen.«
»Dann willst du nicht auf der Farm bleiben?«
Ellen zögerte. Ob Josie wohl von ihrer Mutter den Auftrag bekommen hatte, sie danach zu fragen?
Die beiden sechzehn und vierzehn Jahre alten Mädchen sahen sich immer noch erstaunlich ähnlich. Ein Nachbar hatte sie einmal als »zwei richtig kitschige Schönheiten« beschrieben. Die zerzauste Mähne gehörte der Vergangenheit an: Beide pflegten ihre kastanienroten Locken sorgfältig. Sie cremten sich auch eifrig das Gesicht ein, aus Angst, eine
Weitere Kostenlose Bücher