Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)
konnte Josie aber nicht sehen, welche Posen der Fotograf von ihr verlangte. Kurz darauf erschien Tina in einem knappen Bikini für die Strandszene. Ein drittes, dunkelhaariges Mädchen räkelte sich in einem roten Negligee auf dem Bett.
Nach etwa einer halben Stunde meinte Beetle, Josie solle
sich umziehen. Er führte sie quer durch das Studio in eine kleine Garderobe, nahm ein weißes Spitzennegligee auf einem Bügel aus dem Schrank und reichte es ihr mit den Worten, sie solle es über ihrer Unterwäsche tragen. Dann erklärte er ihr kurz, sie müsse die Wimpern kräftiger tuschen, die Lippen nachziehen und die Wangenknochen mit Rouge betonen. Zu Josies Erleichterung sah er ihr nicht beim Umkleiden und Schminken zu.
Als sie gerufen wurde, ging sie ängstlich hinaus. Aber Bob, der Fotograf, beachtete sie kaum. Er wies sie an, sich neben einem künstlichen Baum auf den Boden zu knien. Anfangs war es ein merkwürdiges Gefühl, dieser Stimme hinter der Kamera zu gehorchen und, geblendet von den hellen Scheinwerfern, nicht über die Kulisse, in der sie sich befand, hinaussehen zu können. Doch dann erinnerte sie sich an Candys Rat, so zu tun, als wäre sie eine Schauspielerin, und das funktionierte. Sie verlor ihre Hemmungen, und nach einer kleinen Weile nahm sie ganz von allein wechselnde Posen ein.
Es machte ihr nichts aus, ihr Negligee zu lockern, als Bob sie darum bat. Im Grunde war die Arbeit vor der Kamera nicht anders als das Posieren zu Hause in ihrem Zimmer. Bald war ihr Lächeln ganz natürlich. Sie warf den Kopf zurück, fuhr sich mit der Hand durchs Haar oder legte sich, einen Schenkel entblößt, auf die Seite, als hätte sie nie etwas anderes gemacht.
»Absolut keine Probleme, sie ist ein Naturtalent«, meinte Bob zu Beetle, als dieser einige Zeit später zum Set herüberkam. »Ich werd die Aufnahmen gleich entwickeln und sie dir heute Abend noch vorbeibringen.«
»Okay, das wars«, sagte Beetle zu Josie. Sein Gesicht und seine Haare glänzten im Scheinwerferlicht. »Sieht ganz so aus, als hättest du einen neuen Job. Ruf mich morgen um die Mittagszeit an, dann nenn ich dir die Termine für nächste Woche.«
Das sollte es schon gewesen sein? Josie war überrascht und sogar ein bisschen enttäuscht. Aber Bob hatte sich bereits abgewandt und streifte sich das Jackett über.
Josie ging in die Garderobe zurück, wo Candy gerade in rote Unterwäsche schlüpfte. Sie lächelte Josie zu und bot ihr eine Zigarette an. »Na, wie ist es gelaufen?«
»Gut, denke ich.« Sie wollte nicht eingebildet klingen, deshalb wiederholte sie Bobs Worte nicht. Sie erzählte nur, Beetle habe sie gebeten, ihn anzurufen.
»Dann hast du es geschafft, Herzchen.« Candy grinste. »Jetzt bist du alle deine Sorgen los. Ende nächster Woche hast du genug Kohle, um dir eine hübsche Wohnung zu suchen. Wir sehen uns im Lauf der Woche bestimmt noch, die Shootings überlappen sich normalerweise, und dann wirst du auch einige der anderen Mädchen kennen lernen. Alles Gute.«
Josie machte ein langes Gesicht. Sie hatte gehofft, sie würden noch ein Weilchen zusammensitzen und plaudern oder anschließend irgendwo hingehen. Doch sie versuchte sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen und dankte Candy für ihre Hilfe.
»Warte mal ein paar Monate ab, ob du dann auch noch so dankbar bist«, entgegnete Candy lachend. »Und jetzt genieß den Tag. Der Sommer wird im Nu vorbei sein, und du musst dich doch mit der Stadt vertraut machen, wenn du hier bleiben willst.«
Josie befolgte Candys Rat. Von Ruhm und Reichtum träumend, spazierte sie stundenlang durch London. Der Regen vom Vortag hatte den Staub von Straßen und Bäumen gewaschen, und plötzlich entdeckte sie das London, von dem sie daheim in Cornwall geträumt hatte: den Hyde Park und die Serpentine Gallery, Buckingham Palace und Trafalgar Square – alles war so prachtvoll, wie sie es sich vorgestellt hatte. Josie sprudelte schier über vor freudiger Erregung. Sie würde Fotomodell werden und so viel Geld verdienen, dass sie sich alle Kleider kaufen könnte, die sie nur wollte, sich eine Wohnung wie Wills Apartment mieten und zum Friseur gehen. Und sie würde nie wieder die Essensreste anderer Leute vom Teller kratzen müssen.
Sie kaufte den Evening Standard und studierte den Wohnungsmarkt. In einer Annonce wurde eine Zweizimmerwohnung in Chelsea für zwanzig Pfund die Woche angeboten. Chelsea sei eine hübsche Gegend, hatte sie gehört. Wenn sie daran dachte, dass sie noch vor
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