Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)
Freitagnachmittag zwei Mädchen hereinkamen. Da die Kundschaft in dem Café mit seinen Standardgerichten der englischen Küche und seiner langweiligen Einrichtung überwiegend aus älteren Leuten bestand, fielen ihr die beiden jungen Frauen natürlich auf. Josie musterte sie neidisch. Die eine trug einen glänzenden weißen Regenmantel und kniehohe Stiefel, die andere war ähnlich gekleidet, aber ganz in Rot. Beide waren bildhübsch, und ihre Sachen sahen sehr teuer aus.
Archie, der Cafébesitzer, eilte ihnen entgegen und begrüßte sie überschwänglich, er küsste ihnen sogar die Hand und führte sie dann an einen Tisch unweit der Tür. Josie konnte nicht verstehen, was sie redeten, weil sie im hinteren Teil des Cafés bediente.
Sie bestellten einen Kaffee nach dem anderen. Nachdem die anderen Kellnerinnen alle gegangen waren, musste Josie auch ihren Tisch übernehmen. »Haben Sie noch einen Wunsch?«, fragte sie, als sie ihnen einen sauberen Aschenbecher brachte und die leeren Tassen abräumte.
»Ja, ein bisschen Sonne«, antwortete die eine. »Heute hats doch den ganzen gottverdammten Tag lang nur geschifft.«
Josie kicherte. So etwas hatte im Café noch keiner zu ihr gesagt. »Ich kann nicht einmal für mich selbst ein Wunder vollbringen, geschweige denn für jemand anders.«
»Du stammst ja aus Cornwall!«, rief die Brünette im weißen Regenmantel überrascht. »Was in aller Welt hat dich veranlasst, von dort wegzugehen und in diese stinkende Stadt zu kommen?«
Sie war die Erste, die ihren Dialekt erkannte, und Josie freute sich darüber.
»Ein Anfall geistiger Umnachtung«, erwiderte sie lächelnd. »Ich habs auch schon bitter bereut.«
»Lausiges Zimmer und lausiger Job?«, fragte die junge Frau in Rot mitfühlend. Sie war blond und hatte große grüne Augen.
Josie nickte. Das bisschen Anteilnahme genügte, um ihr die Tränen in die Augen zu treiben.
»Nicht weinen, Herzchen«, flüsterte die Brünette schnell und tätschelte ihr die Hand. »Sonst kommt Archie und will dich knuddeln, und darauf kannst du verzichten, glaub mir.«
»Wann bist du denn hier fertig?«, fragte die andere.
»Um halb sechs.« Josie schluckte die Tränen hinunter und versuchte zu lächeln.
»Weißt du was? Komm in den Pub ein Stück weiter die Straße hinunter. Dann kannst du uns alles erzählen. Wie heißt du eigentlich?«
»Josie«, antwortete sie mit dünner Stimme. Auf einmal kam sie sich ein bisschen dumm vor. »Danke, aber das ist wirklich nicht nötig, ich komm schon zurecht.«
»Und ob das nötig ist!«, widersprach die Brünette lachend. »Wir waren auch mal da, wo du jetzt bist, Schätzchen. Ich bin Candy, das ist Tina. Wir warten im Pub auf dich.«
Josie war so deprimiert, dass sie nicht damit rechnete, die beiden Mädchen tatsächlich wiederzusehen. Doch als sie den Pub betrat, winkten sie sie fröhlich zu sich und luden sie zu einem Brandy und einer Coke ein, damit ihre Laune sich besserte.
Abgesehen von einigen Geschäftsleuten, die nach Büroschluss noch schnell einen Drink zu sich nahmen, war der Pub leer. Die drei setzten sich an einen Ecktisch, und Candy und Tina begannen, Josie auszufragen. Wie sich herausstellte, stammte Candy aus Bude in Cornwall. Ihre Geschichte ähnelte Josies.
»Mir ging es so dreckig, das kannst du dir gar nicht vorstellen«, erzählte sie. »Ich war auch erst fünfzehn, und fast mein ganzes Geld ging für mein Zimmer in Earls Court drauf. Aber ich konnte nicht mehr nach Hause zurück, ich hatte kein Geld für die Fahrkarte, und meine Leute brauchte ich gar nicht erst zu fragen: Die hätten mir sowieso keins geschickt.«
»Bei mir genau das Gleiche«, sagte Tina grinsend. »Ich bin mit einem Mann abgehauen, und nach ein paar Wochen hat er mich sitzen lassen. Ich hab Büros geputzt. Aber wir sind beide der beste Beweis dafür, dass man nicht ewig in einem Rattenloch hausen und in einem Café buckeln muss. London ist eine tolle Stadt, wenn man erst mal weiß, wo es langgeht.«
»Ich wollte Model werden«, gestand Josie verschämt. »Ich weiß, es klingt blöd, aber ich hab wirklich gedacht, ich bräuchte nur hier aufzukreuzen, und schon würde mich einer fotografieren wollen. Von wegen! Hier guckt mich nicht mal jemand an.«
Die beiden Mädchen lächelten und tauschten einen Blick. »Wir sind Models«, meinte Candy. »Wir führen zwar keine Mode vor, aber wir verdienen gutes Geld.«
»Ehrlich?« Josies Herzschlag hatte eine Sekunde lang ausgesetzt. »Und wie habt ihr das
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