Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)
wie sie, aber jetzt wussten sie es, und es machte ihnen nichts aus. Gespräche, die sie belauschte, ergaben plötzlich einen ganz neuen Sinn. Am Montagnachmittag war Kate, eine der Ältesten, in die Garderobe gekommen und hatte gegrinst. »Ich hab die Sache abgekürzt«, meinte sie. »Ich hab die Beine gespreizt, damit er es sich richtig angucken konnte. Er kam auf der Stelle.«
Noch vor zwei Tagen hätte sich Josie nichts dabei gedacht, doch jetzt erkannte sie das ganze Ausmaß des Grauens: Diese Männer gafften sie nicht nur an, sie befriedigten sich dabei auch noch selbst.
Nur wenige Male, stellte sie fest, war sie tatsächlich fotografiert worden: dann nämlich, wenn Beetle sie noch länger dabei-halten wollte oder aber früher als die anderen ins Studio bestellt hatte. Nur dann hatte er auf ihre Kleidung, ihr Make-up, ihr Haar geachtet. Das mochte auch der Grund sein, weshalb die anderen Mädchen sie schnitten: Sie waren eifersüchtig, weil sie als Einzige tatsächlich modeln durfte.
Doch das entschädigte sie nicht für die vielen Male, die sie eins von vier Mädchen gewesen und von hellen Scheinwerfern angestrahlt worden war, damit sie nicht sehen konnte, was wirklich vor sich ging. Sie hätte lachen können, wenn sie daran dachte, wie sehr sie sich bemüht hatte, verführerisch und attraktiv auszusehen. Ebenso gut hätte sie Busen oder Po entblößen und das Ganze doppelt so schnell hinter sich bringen können.
Sie sagte jedoch nichts, auch nicht zu Beetle. Als er sie unter vier Augen fragte, wie es mit Mark gelaufen sei, erwiderte sie mit Unschuldsmiene, sie wisse es nicht, er habe kaum ein Wort gesagt. Innerlich gärte es in ihr. Sie kochte vor Wut bei dem Gedanken an das viele Geld, das sie für Unterwäsche, die sie nirgends sonst tragen würde, ausgegeben hatte oder für die schwarzen Stiefel, in denen ihr die Zehen wehtaten und in denen sie nicht laufen konnte, weil die Absätze viel zu hoch waren. Am meisten aber erbitterte es sie, von Beetle und seinen hinterhältigen Mädchen an der Nase herumgeführt worden zu sein.
Am Freitagabend war ihr klar, dass sie so nicht weitermachen konnte. Sie überlegte gerade, ob sie bis Ende des Monats in der Wohnung bleiben oder gleich nach Hause fahren sollte, bevor sie vor Einsamkeit durchdrehte, als es an der Tür klingelte.
Sie fuhr zusammen. Abgesehen von dem Mann, der ihr das Bett geliefert hatte, hatte noch nie jemand bei ihr geklingelt. Sie lief die Treppe hinunter, im Stillen hoffend, es wäre Mark, obwohl sie eigentlich nicht mehr daran glaubte.
Doch er war es. Er fragte, ob er raufkommen könne.
Es war ihr peinlich, als er sich überrascht in der leeren Wohnung umschaute, in der nicht einmal ein Stuhl stand. Aber er sagte nichts. Er setzte sich wie selbstverständlich auf den Fußboden und bot ihr eine Zigarette an.
»Die Fotos sind gut geworden«, begann er mit ausdrucksloser Miene. »Ich denke, wir können es miteinander versuchen, aber nur zu meinen Bedingungen, damit das klar ist. Du tust, was ich dir sage.«
Josie witterte eine Falle. Sie dachte, er wolle sie zu pornografischen Aufnahmen oder etwas Ähnlichem überreden. Sie traute keinem mehr.
»Ausziehen werde ich mich nicht«, erklärte sie nervös. »Vergessen Sie es.«
»Ich bin ein seriöser Fotograf«, erwiderte er schroff. »Wenn ich Nacktfotos machen wollte, würde ich mir ein älteres und kurvenreicheres Mädchen suchen. Pass auf.«
Vieles von dem, was er ausführte, verstand sie nicht. Dann beschrieb er ihr die Fotos, die ihn bekannt gemacht hatten. Er zeigte ihr sogar eine kleine Mappe mit Abzügen. Auf jedem waren Menschen zu sehen: Schwarze, Alte, Penner, Frauen mit erschöpften Gesichtern, die einen Kinderwagen schoben. Eins zeigte Weiße und Schwarze, die sich mit zornigen Mienen, als wollten sie gleich aufeinander losgehen, gegenüberstanden. Josie begriff überhaupt nichts mehr.
»Ich hab mir Folgendes gedacht: Wir werden deine Entwicklung hier in London gleichsam nachzeichnen. Die Ankunft am Bahnhof ohne einen Penny, der Job als Kellnerin, die Bude in einem Slum. Das ist eine erschütternde Geschichte. Jojo, die Leute sind ganz verrückt danach, vor allem wenn es ein Happy End gibt und Aschenputtel am Schluss auf den Ball geht und den Prinzen bekommt.«
Josie hatte keine Ahnung, wovon er redete, wollte es sich aber nicht eingestehen. Er hatte schon einmal gesagt, die Mädchen müssten schwer von Begriff sein, wenn sie nicht merkten, was im Studio gespielt wurde.
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