Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)
Anscheinend hatten es aber alle gemerkt – alle außer ihr.
»Geschichte?« Sie dachte, danach könne sie fragen, ohne allzu begriffsstutzig zu wirken. »Heißt das, jemand wird sie schreiben?«
Er nickte. »Eine Journalistin, und ich werde die Fotos dazu machen. Der Leser wird deine Verwandlung Schritt für Schritt miterleben. Wenn wir an dem Punkt angelangt sind, an dem du dir hübsche Sachen gekauft und Freunde gefunden hast, werden die Modelagenturen uns die Tür einrennen. Aber ich werde darauf bestehen, dass du von niemandem außer von mir fotografiert wirst.«
Er habe bereits eine Journalistin an der Hand, fügte er hinzu, und morgen würden sie beginnen und Josies Ankunft in London nachstellen. Dann bat er sie anzuziehen, was sie an jenem Tag getragen hatte.
»Das hab ich angehabt«, meinte Josie, als sie in Jeans und weißer ärmelloser Bluse aus dem Schlafzimmer kam. »Das muss ich doch nicht wirklich anziehen, oder? Die Jeans ist einfach grässlich.«
Mark unterdrückte ein Lachen. In der Billigjeans von Millet’s und der unförmigen Kunstfaserbluse sah sie wirklich wie ein Landei aus der tiefsten Provinz aus.
»Du siehst genauso aus, wie ich mir das vorgestellt habe«, sagte er. »Jetzt musst du bloß noch die Haare in der Mitte scheiteln und zu Rattenschwänzchen binden.«
Sie machte ein entsetztes Gesicht, und da wusste er, dass sie ihre Haare seit Jahren nicht mehr so trug und auch nie mehr so tragen wollte.
»Vertrau mir«, bat er sanft. »Das ist, als würdest du schauspielern. Ich werde dich in einem überfüllten Bahnhof fotografieren, hilflos und verloren inmitten der Menge. So hast du doch bestimmt ausgesehen, als du hier angekommen bist, oder?«
Das konnte sie nicht leugnen. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie sie in Ladbroke Grove weinend auf dem Mäuerchen gesessen und Fee sie angesprochen hatte. Wenigstens versuchte er nicht, sie in irgendein Studio zu locken, wo alles Mögliche passieren konnte.
»Und wie ist das mit der Bezahlung?«, erkundigte sie sich mit gespielter Forschheit. Eigentlich interessierte sie das im Moment überhaupt nicht, doch er sollte sie nicht für eine komplette Idiotin halten.
»Ich werde deine Miete übernehmen. Ich kann dir kein Geld geben so wie Beetle. Aber wenn du noch ein paar Shootings bei ihm machen willst, hab ich nichts dagegen.«
»Ich kann nicht dahin zurück!«, rief sie erschrocken. »Ich wollte sowieso aufhören.«
Mark lächelte. Er hatte gehofft, dass sie sich so entscheiden würde. Beetle durfte nicht den geringsten Verdacht schöpfen. Und bis er Lunte roch, würde die Polizei ihn längst im Visier oder sogar schon verhaftet haben. Das gehörte alles zu der Geschichte, die Mark sich ausgedacht hatte.
»Soll mir recht sein. In der King’s Road werden immer Kellnerinnen gesucht, da kannst du dir ja ein bisschen Taschengeld verdienen.«
»Sie wollen wirklich meine Miete bezahlen? Das sind hundert Pfund im Monat!«
»Betrachte es als Darlehen. Du zahlst es mir zurück, wenn du das große Geld verdienst. Ich glaub nicht, dass das lange dauern wird, vorausgesetzt, du tust, was ich dir sage, und hältst den Mund.«
»Ich hab sowieso niemanden, dem ich es erzählen könnte«, entgegnete sie traurig.
Mark sah, wie ihre Unterlippe zitterte, und wusste, es war die Wahrheit. Einen flüchtigen Augenblick empfand er Mitleid mit ihr. »Du wirst bald neue Freunde finden«, tröstete er sie. »Es wird die Zeit kommen, da wirst du froh sein, wenn du mal ein paar Minuten für dich hast, glaub mir. Okay, ich muss wieder los. Morgen um halb fünf kommst du in dieser Aufmachung nach Paddington Station. Zieh meinetwegen noch eine Strickjacke drüber, sonst frierst du. Kein Make-up außer einem bisschen Wimperntusche. Und pack was in den Koffer, damit er richtig schwer ist. Ich treff dich dann dort.«
Es war Viertel nach fünf, als Mark zum Bahnhof kam. Er hatte sich absichtlich verspätet, weil er wusste, Josie würde in Panik geraten, wenn er ihre Verabredung nicht einhielt. Um diese Zeit machte sich der erste Schwung Pendler auf den Heimweg, es herrschte reger Betrieb, und es war im Bahnhof schmutzig und ungemütlich.
Er entdeckte sie sofort. Ihre Haare waren nicht zu übersehen. Völlig verstört stand sie mit ihrem Koffer am Zeitungskiosk. Mark hatte sich einen Regenmantel übergeworfen und verbarg die langen Haare unter einem Filzhut, damit sie ihn nicht gleich erkannte. Von einem Imbissstand aus schoss er die ersten Bilder mit einem
Weitere Kostenlose Bücher